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Lena Christ - die Glueckssucherin

Lena Christ - die Glueckssucherin

Titel: Lena Christ - die Glueckssucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunna Wendt
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verleugnet ihren Vater, als sie ihn zufällig auf dem Bahnhof trifft. Sie ist auf dem Weg nach München und will – besonders in diesem Augenblick des Aufbruchs – nichts von dem Pfannenflicker wissen, der nie für sie da war. Ebenso gespannt ist das Verhältnis der Protagonisten zu ihren Müttern: Die Mutter der Rumplhanni ist ein »verlotterts Weibsbild«, die Mutter Mathias Bichlers die Leiterin einer fahrenden Schauspieltruppe, die ihm Mutterliebe vorgaukelt, solange Geld von ihm zu erwarten ist. Als das nicht mehr der Fall ist, entlarvt sie sich als »keifende Alte«. Bis zum Schluss erkennt Mathias sie nicht als seine Mutter an, »die schreckliche Alte, die sich meine Mutter nannte« und »die Mutter zu nennen ich annoch heut nicht vermag«.
    Die Familie als Lebensform, die den Kindern Geborgenheit gibt, sie fördert und unterstützt, kommt bei Lena Christ nicht vor. Aber es gibt andere Menschen, auf die sich die Kinder verlassen können: Mathias Bichler liebt und verehrt seine Ziehmutter, die Weidhoferin, der er als Baby von seinen Eltern vor die Tür gelegt wurde. Die Rumplhanni findet Zuwendung und Verständnis bei ihrer Großmutter, die zwar als Hexe gilt, aber gleichzeitig respektiert und gefürchtet wird. Beide – Mathias Bichler und die Rumplhanni – treffen unterwegs auf Fremde, die ihnen unerwartet helfen.

    26 Lena Christ, um 1911
    Lena Christs Figuren sind modern in ihrer Lebensführung. Sie machen sich auf den Weg, entwickeln eine Fluchtlinie, schaffen sich selbst. Sie verlassen den Ort, an dem sie aufgewachsen sind, ihre Heimat, die ihnen keine Sicherheit und Geborgenheit gab, sondern eine Fessel war. Damit kehren sie nicht nur dem geografischen Ort den Rücken, sondern vor allem der damit verbundenen Lebensweise. Die Erfindung einer neuen Identität tritt in den Vordergrund ihres Handelns, am extremsten bei Mathias Bichler, der zum Künstler wird: »Und mit einem Male trat ein Wunsch auf meine Lippen, an den ich noch nie zuvor gedacht: Ich möchte ein solcher Meister werden, wie der dieses Bildes einer gewesen.« Ihn beeindruckt die Authentizität der Kunstwerke, die er auf seiner Wanderschaft sieht: »Die lebendige Wiedergabe des wirklichen Lebens wollte ich von ihnen lernen.« Wie seine Schöpferin sucht Mathias Bichler das Echte und Wahre. Die Kunst wird dem Herumreisenden zur Heimat – auch darin stimmt er mit Lena Christ überein, die für sich eine ganz eigene Literatur entwickelte. Einen schützenden Kokon, fernab von den bayerischen Heimatdichtern und den Literaten der Schwabinger Boheme. Sie gehörte weder zu den einen noch den anderen.
    Der Roman Mathias Bichler entstand an dem ungewöhnlichen Schreibplatz, der sich für Lena Christ bewährt hatte. Unter dem Schlusssatz des Manuskripts findet sich die Notiz: »Den elften Februar 1914, vormittags halb zehn, beendet im Bett«. Der Augenzeuge Peter Jerusalem ergänzt: »Doch ist nicht nur der Schluss im Bett geschrieben worden, sondern, die allerersten Seiten ausgenommen, das ganze Buch. Darum schrieb sie alles mit Bleistift, denn mit geringen Ausnahmen ist, was vom Jahre 1913 an entstand, auf besagter Liegestatt verfasst worden. Am Schreibtisch hat sie nichts geschrieben, denn erstens besaß sie damals keinen, und als sie sich später einen kaufte, stand der nur in einem Winkel unseres Wohnzimmers herum, was seine Haupttätigkeit war. Ein paar Briefe wurden darauf geschrieben, das war alles.«
    Auch in der Sommerfrische schrieb Lena im Bett. Als Peter Jerusalem sie 1916 in Lindach bei Glonn besuchte, wo sie die Ferien auf dem Wimmerhof verbrachte, wurde er zu seiner Verwunderung nicht wie sonst von ihr empfangen. »Als ich vom Hausgang in die Küche trat, dort die Anwesenden begrüßte und nach meiner Frau fragte, erwiderte die Bäuerin: ›Die liegt no im Bett und schreibt. Sie is gar net aufgstanden heut, und mir haben ihr was kocht z’Mittag!‹ Als ich oben das Schlafzimmer betrat, wo die Lena noch immer im Bett lag und schrieb, und ein Wort der Begrüßung sagen wollte, legte sie den Zeigefinger auf den Mund, zum Zeichen, dass sie nicht gestört sein wollte.«
    Jerusalem respektierte den Wunsch seiner Frau, stellte den Koffer ab und verließ den Raum, während sie immer weiter schrieb. Die Art und Weise, wie sie schrieb, empfand er als etwas ganz Besonderes, in das er sich nicht einmischen durfte, »wobei ihre den Bleistift führende Hand wie von einer magischen Kraft getrieben in verblüffender Eile ein Wort ans andere reihte,

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