Lena Christ - die Glueckssucherin
die linierten Zeilen dahinfahrend. Die beiden Betten und der Fußboden daneben waren von vollgeschriebenen Blättern bedeckt.« Er zählte vierzig Seiten. Wieder betont er, dass daran so gut wie gar nichts zu ändern war. Er nahm sie am nächsten Tag mit nach München, wo sie abgetippt und gleich an die Druckerei weitergeschickt wurden.
Mithilfe eines Zitats von Josef Hofmiller mystifiziert Jerusalem die Arbeitsweise seiner Frau: »Nicht sie schreibt, es schreibt.« Er spricht sogar von einem Dämon, der sie während des Schreibprozesses beherrschte, und weist auf ihre übersinnlichen Fähigkeiten hin. So fungierte sie bei Seancen, die im kleinen Kreis stattfanden, als Medium: »Sie war also in Wahrheit ein Mittler zwischen einer sichtbaren und einer unsichtbaren Welt, ein Medium, das lateinische Wort für dasselbe.«
Für ihn war ihre Art zu arbeiten unerklärlich, doch er erlebte neben den mystischen, spirituellen auch die handfesten, handwerklichen Dimensionen, wie die Entstehungsgeschichte der Rumplhanni im Ersten Weltkrieg zeigt. Sie hatte mit einer Enttäuschung begonnen: Ende März 1916 überraschte Lena ihren Mann mit einer neuen literarischen Arbeit: einem ländlichen Theaterstück in drei Aufzügen mit dem Titel »Die Rumplhanni«. Sie war sehr stolz auf diese Arbeit und konnte kaum erwarten, was er dazu sagen würde. Doch er äußerte sein Missfallen drastisch: »Mist!« Natürlich war die Verfasserin gekränkt und zunächst nicht bereit, mit ihm darüber zu diskutieren. Sie verbannte ihr Werk in die Schublade und redete nicht mehr davon. Ende April besuchte sie Peter Jerusalem in Landshut, wo er beim Ersatzbataillon des zweiten bayerischen Landwehrregiments stationiert war, und präsentierte ihm die ersten Kapitel des Romans Die Rumplhanni . Aus der dramatischen Form war Prosa geworden. Ebenso direkt und unmissverständlich wie vier Wochen zuvor seine Ablehnung fiel nun sein Lob aus. Er war von ihrer Lesung begeistert. Lena blieb eine Woche bei ihm in der möblierten Wohnung und schrieb gleich die beiden nächsten Kapitel. Wie »immer« arbeitete sie im Bett. Jerusalem erinnert sich: »Rückten wir in der Früh aus und marschierten mit Gesang die Neustadt hinunter, an dem Haus vorbei, öffnete sich oben ein Fenster, und sie winkte mir grüßend zu, um sich dann wieder ins Bett zu legen und weiterzuschreiben.«
Zurück in München unterbrach sie ihre Arbeit und setzte sie erst im Juli fort, als sie mit ihren beiden Töchtern in die Ferien nach Lindach fuhr. Dort entstand der größte Teil der Rumplhanni . Die Ereignisse auf dem Wimmerhof wurden ziemlich unmittelbar in den Roman eingebaut, allen voran die Konflikte zwischen der Bäuerin und der Dienstmagd, die eins der Vorbilder für die Protagonistin war – gemischt mit der Lebensgeschichte und den Charakteigenschaften von Lenas Mutter und ihren eigenen Erlebnissen. Viele Wirtshausszenen kommen in diesem Roman vor – hier konnte sie auf ihre Erfahrungen als Wirtsleni zurückgreifen.
Wenn Jerusalem zu Besuch kam, ging er das Geschriebene mit ihr durch. Der Albert Langen Verlag hatte schon im Juli mit dem Druck begonnen. Immer wenn ein Teil fertiggestellt worden war, wurde dieser direkt in die Druckerei nach Leipzig geschickt – meistens im Abstand von vierzehn Tagen. Die Druckerei sandte dann die Druckbogen an den Verlag und an Jerusalem zum Korrekturlesen. Da die Zeit drängte, bekam der Verleger vom fünften Kapitel an den Text erst im Satz zu lesen. Diese Produktionsweise war nur deshalb möglich, weil auch bei diesem Roman fast nichts geändert werden musste. Wenn Lena Christ zu schreiben begann, beherrschte sie Wortwahl und Dramaturgie so sicher, dass nicht daran zu rütteln war.
Mehr als ein Jahrzehnt später sollte der Kritiker Josef Hofmiller feststellen: »Sie weiß alles, diese Erzählerin. Sie weiß, wie es in der Küche beim Hauserbauern zugeht und beim Martlbräu. Sie kennt die Herbergen in der Au und die Zellen in Stadelheim. Sie weiß, wie eine Wirtin mit ihrer Tochter grantelt, wie sie ein Küchenmädl einstellt, wie sie dirigiert, bis sich die Speiskarte bei der Jakobidult glatt abwickelt, und was man alles herrichtet.« Besonders rühmt er die Dialogsequenzen in ihrem Werk: »Das Gespräch, das mit dem Verlobungskuss schließt, ist kostbar. Ein urwüchsigerer, echterer Dialog ist in altbayerischer Mundart niemals geschrieben worden. Wie redet der Wirt mit den Bauern? Wie nimmt ein Bursch Abschied von seinem Mädel? Was wird unterm
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