Lenas Mondnächte (German Edition)
zusammen, bei diesem letzten, fast bösartig klingenden Satz. Sonst ein friedfertiger, harmoniesüchtiger Mensch – das ging ihr doch zu weit. Und sie wehrte sich instinktiv dagegen.
„Du kennst mich nicht! Du weißt gar nichts über mich – noch über meine Träume! Also was soll das? Warum beleidigst du mich? Das habe ich nicht verdient!“
Wieder lachte er, noch spöttischer. Und legte dann einfach auf, ohne sich zu verabschieden.
Lena hielt es volle zwei Wochen aus. Sie schickte keine SMS, schrieb keine Email, griff nicht zum Telefon. Und sie blieb der „Seligkeit“ fern. Doch dann, vierzehn Tage später, loggte sie sich doch wieder in dem Chat ein. Tomm war – wie fast jeden Abend – online.
Fast demütig schrieb sie ihn an:
„Bitte … sprich mit mir! Es tut mir leid, dass wir uns gestritten haben! Ich vermisse die Gespräche mit dir so sehr!“
Tomm ließ sich lange Zeit, bis er antwortete. Er war im Chat. Er las die Nachricht. Aber es vergingen Stunden, bis endlich eine Message von ihm kam.
„Ich kann dir nicht mehr bieten, als meine Freundschaft! Wenn dir das genügt …“
Nein – es genügte nicht. Doch wenn er ihr nicht mehr geben konnte, dann wollte sie sich damit zufrieden geben! Wenig war immer noch mehr als nichts … so schnappte sie dankbar nach den Krumen. Und demonstrierte ihm voller Vertrauen ihre Bereitwilligkeit:
„Nur Freundschaft … versprochen!“
Lange Gespräche folgten. Über Gott und die Welt.
Es gab kaum ein Thema, das nicht angeschnitten wurde, in langen Chatgesprächen, Emails und Telefonaten. Bald hatte Lena die Übersicht verloren, wie viele Nächte sie mit Tomm am Telefon oder am PC verbracht hatte. Er nahm immer mehr Raum ein in ihrem Leben, wurde immer wichtiger.
Und sie war so unendlich dankbar dafür. Vertrieb es doch die Einsamkeit, die all die Jahre zuvor wie ein bleierner Schleier über ihrem Leben hing und ihr das Gefühl gegeben hatte, niemand wollte sie. Jetzt war das anders. Sie hatte Tomm, einen Freund – und der mochte mit ihr reden!
Ja, sie war einsam gewesen – vor ihm. Sogar erbärmlich einsam. Doch das erkannte sie erst jetzt, wo die Nächte mit ihm nur so dahin flogen und aber tagsüber die Stunden zäh wie Sirup dahin tröpfelten.
Freundschaft war vielleicht auch ein zu starkes Wort für das, was sie beide verband. Sie begegnete ihm offen und unvoreingenommen, hielt keinerlei Geheimnisse vor ihm zurück. Erzählte ihm alles, bis es kaum mehr etwas gab, was er nicht über sie wusste. Selbst ihre einsamsten und dunkelsten Momente verbarg sie nicht vor ihm.
Tomm jedoch hielt sich bedeckter. Auch er erzählte viel von sich und doch beschlich sie manchmal das Gefühl, dass er etwas vor ihr zurückhielt. Dass es eine Seite gab, die er vor ihr verbarg. Manchmal hatte sie das Gefühl, in ihm schwelte etwas Dunkles!
Und da waren auch noch jene Nächte, in denen er nicht im Chat war. Nächte, in denen sie ihn bitterlich vermisste, weil ihr ihre eigene Einsamkeit überdeutlich bewusst wurde. Nächte, über die er sich aber ausschwieg. Und sie wagte es nie, ihn danach zu fragen.
Im Laufe der Monate fiel ihr jedoch auf, dass vor diesen „Mondnächten“ der Kontakt zu ihr immer etwas spärlicher war. Und das fiel immer auf Zeiten, zu denen bestimmte Frauen in seinem Chat anwesend waren – nämlich immer dann, wenn er keine Zeit hatte um mit ihr zu telefonieren. Und sich nicht auf das Chatten mit ihr beschränkte.
Sie beobachtete das eine Weile und begann dann zu ahnen, das war so, weil er sich gerade einer von diesen anderen widmete. Sie umwarb – und sie vorbereitete. Um sich in diesen Nächten, wo er nicht online war, mit ihnen zu treffen.
Es gab also andere Frauen. Frauen, die ihm vermutlich auch das gaben, was er brauchte – nämlich das, was er ihr nicht zutraute.
Monatelang nahm sie das hin. Und versuchte, Verständnis aufzubringen und an der Freundschaftsebene festzuhalten.
Bis es anfing, wehzutun. Eines Nachts ertappte sie sich selber dabei, wie sie bitterlich weinte. Sie hatte sich im Chat eingeloggt und er war wieder einmal nicht online. Es war eine von diesen „Mondnächten“.
Sogleich verfluchte sie sich selbst, nannte sich verrückt und wischte sich die dummen Tränen ab. Schob diese seltsame Stimmung einfach auf den Vollmond. Der beeinflusste ja bekanntlich alle Leute und war nicht nur für Ebbe und Flut zuständig.
Sie zwang sich dazu, über sich selbst zu lachen – nur um dann in der nächsten Sekunde
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