Lenas Mondnächte (German Edition)
behutsam und umsichtig – eine Mutter hätte es bei ihrem Baby nicht fürsorglicher machen können. Danach dann brachte er sie zu Bett, deckte sie liebevoll zu und begann zu warten.
Lena träumte.
Einen seltsamen Traum. Sie träumte, sie war tot. Eingegangen in eine Hölle aus Schmerz und Blut, schwebte sie in einem Meer aus Flammen und Vergessen.
Etwas zog sie in die Tiefe. Etwas wollte, dass sie vergaß. Dass sie nichts mehr wusste – von Schmerz und Qualen, noch von ihrem Blut und ihrer Pein. Oder von Tomm.
Sie kämpfte. Mit aller Kraft kämpfte sie. Und schrie in ihrem Traum immer wieder nach dem einzigen, der ihr Halt geben und sie vor dem endgültigen Vergessen bewahren konnte.
Tomm!
Immer, wenn diese Hölle es zuließ, dass sie sich an die Grenze des Wachseins kämpfte, war er da. Hielt ihre Hand, kühlte ihre Stirn und feuchtete ihre Lippen an.
Es war beruhigend, ihn zu fühlen. Tröstlich, ihn zu spüren. Und gab es gab ihr Kraft, ihn zu hören.
„Gib nicht auf, Lena … vergiss dich nicht! Lass den Wolf in dir leben! Bleib bei mir … lass nicht zu, dass du vergisst!“
Sie klammerte sich an diese Worte, wie an seine Hand.
Und brannte weiter in der Hölle.
Sie fühlte, wie sich etwas in ihre verändern wollte. Wie es mächtig und mächtiger wurde, wuchs und sich stärkte. Und sie hatte Angst davor.
Sie bekämpfte dieses Etwas in sich. Was, wenn es zu übermächtig wurde? Es würde sie verschlingen wie ein Nichts, und niemand konnte sie davor retten!
Je mehr sie kämpfte, umso heißer wurden die Flammen. Je schwächer sie wurde, umso stärker wurde die Sehnsucht nach Vergessen.
Nur Tomm gab ihr Kraft. Seine Hand, die ihre hielt … seine Stimme, die durch das Inferno der Flammen und der Schmerzen klang … und seine dringliche Bitte, sie möge zu ihm zurückkehren.
Es war ein endloser Kampf, der Wochen dauerte.
Tomm harrte hingebungsvoll an ihrer Seite aus. Kühlte sie, wenn nötig und wärmte sie, wenn sie fror. Er flößte ihr Wasser und Brühe ein, damit sie nicht zu schwach wurde.
Immer, wenn er den Eindruck hatte, sie könne ihn hören, wisperte er ihr Worte der Liebe ins Ohr. Und flehte sie an, nicht aufzugeben. Sich nicht zu verlieren und dem Wolf zu erlauben, zu leben.
Die Wunden auf ihrer Haut heilten schnell. Drei kleine Narben blieben – an den Stellen, an denen er ihr Blut getrunken hatte. Ihr Körper wurde kräftiger. Und als der Mond begann, sich erneut zu runden, erkannte er, dass auch der Wolf in ihr die Krallen ausstreckte und stärker wurde.
Vollmond.
Tomm starrte aus dem Fenster von Lenas Wohnung im fünften Stock. Reglos wie eine Statue. Seit Stunden stand er so. Es wurde Zeit. Das Ritual musste vollendet werden.
Als draußen das Licht des Tages langsam der Dunkelheit wich und es nur mehr eine Stunde bis Mondaufgang war, wandte er endlich dem Fenster den Rücken zu und trat an das Bett heran.
Still und bleich wie eine Porzellanpuppe lag Lena in den Kissen und schlief. Wunderschön war sie. Einzigartig. Fast schon seine Gefährtin.
„Jetzt werden wir uns aufmachen, meine kleine Lena. Die letzten Schritte auf deinem Weg zu mir!“
Er wickelte sie in die Decke und trug sie in die Tiefgarage zu ihrem Auto. Sobald er es ihr auf der Rückbank gemütlich gemacht hatte, startete er und fuhr quer durch die Stadt zum südlichen Acker.
Sein Timing war gut.
Gerade als Tomm sie den Galgenhügel hinauf trug – nackt unter der Decke – erklomm die blasse Scheibe des Vollmondes den nächtlichen Himmel. Und im Schatten der Eichen fand sich das Rudel der Wölfe ein, um dem Ritual beizuwohnen.
Die große weiße Wölfin und ihr schwarzer Partner nahmen wie beim letzten Mal ihre Plätze am Kopfende des steinernen Altars ein. Tomm bettete Lena auf den Stein, stellte sich dann zwischen die Wölfe.
Der Mond kletterte höher, übernahm die Regie über die Nacht. Und der Wolf in Tomm erwachte. Befreit von seinen Fesseln, kroch er aus seinem Körper hervor und begann, ihn zu verwandeln. Er begann zu ächzen, sich zu strecken. Jaulte immer wieder vor Schmerz. In seinen Knochen knackte es, und dann fiel er auf alle Viere, sank zu Boden. Erschöpft, die Verwandlung kostete jedes Mal unendlich viel Kraft. Aber in dieser Nacht war es dennoch eine Erlösung für ihn, den Wolf freizulassen.
Unbemerkt fing Lena an, sich zu verwandeln.
Sie erwachte nicht. Sie begann zu träumen. Schmerz schoss durch all ihre Glieder – grausam und peinigend. Manche Knochen streckten
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