Lenas Tagebuch
Tamara auch singt.)
Lass mich in Ruhe, du alter Karapet!
Ich habe einen Mann, der heißt Achmed!
Sollte er deine Worte hören,
Wirst du deinen Kopf verlieren!
(Alle):
Im Kaukasus steht ein Berg. Sehr groß ist er.
Unter ihm, da fließt die Kura. Trüb kommt sie
daher.
Klettert man auf den Berg und stürzt man sich
hinunter,
So gibt man dann den Löffel wahrscheinlich auch
schon ab.
– – –
Nichts weiß ich,
Nichts will ich wissen,
Nur eins weiß ich,
Dich werde ich immer lieben.
Meine Liebe, gib es zu,
Weißt du das denn auch,
Wie es ist zu leiden,
Voller Schmetterlinge im Bauch?
(Und mit noch größerem Elan:)
Ich leide den ganzen Tag,
Nachts liege ich wach,
Nichts weiß ich,
Alles liegt brach.
Nur dein Lächeln
Kann ich nicht vergessen,
Und jetzt weiß ich nicht,
Wie ich je ohne dich gewesen. 32
An manchen Abenden versammelten sich die jungen Leute vor der Schule. Es ging lustig und laut zu. Sorkas Grammofon läuft. Aber ich will das alles nicht. Ich entferne mich von diesem Lärm. Gehe am Pfad entlang den Hügel hinunter. In der Ferne ebben die Jazzlaute, das Geschrei, das Lachen ab.
Hier, am Fuße des Hügels, ist es ganz still. Ich schaue mich um, was für ein wunderbarer Abend, große Sterne blicken auf mich herab. Was für ein wunderbar warmer und stiller Abend. Ein leichter, warmer Windhauch bewegt mein Haar. Mein Herz füllt sich langsam mit Traurigkeit. Ich beginne, mich selbst zu bemitleiden. Ich setze mich auf das warme Heu und grüble, grüble. Traurige Gedanken tauchen auf. Hier sitze ich nun allein, und niemanden kümmert das. Alle haben ihre Sorgen, ihren Kummer und ihre Freuden. Andrei und Walja gehen gerade irgendwo spazieren. Walja ist glücklich. Warum habe ich kein Glück? Warum? Tamara schläft jetzt wahrscheinlich, die Glückliche. Ja, sie denkt wahrscheinlich noch nicht einmal über solche Dummheiten nach. Aber vielleicht denkt sie ja genauso darüber nach, wer weiß.
Und warum ist jetzt niemand bei mir? An so einem schönen Abend! Es ist richtig ärgerlich. So ein schöner Abend, verschwendet. Ich will nicht allein sein, aber ich will auch keinen Lärm. Ich wäre so gerne mit jemandem zusammen, den ich liebe und der mich liebt. Aber mich liebt niemand. Ich liebe. Aber was bringt es, dass ich ihn liebe. Nur vergebliche Leiden. Denn er liebt mich ja nicht und weiß noch nicht einmal, dass ich ihn liebe. Wozu sollte ich ihm das zeigen, wenn ich weiß, dass er das nicht erwidern kann. Ja, schade, dass mein sechzehntes Jahr so öde verläuft. Ja, natürlich wird mich später irgendjemand lieben. Aber was soll ich mit später. Später kommt auf jeden Fall. Aber ich will jetzt geliebt werden, genau jetzt. Solange ich sechzehn bin. Ich will spüren, dass mich jemand liebt.
Wie trist ist es, an einem solchen Abend allein zu sein. Und Wowa schläft wahrscheinlich, in Leningrad, oder nein, er hält Wache auf dem Dachboden. Aber er ist mir egal. Sollen sie verdammt sein, diese gefühllosen Jungs.
Ich kehre langsam zur Schule zurück. Bleibe am Grammofon stehen. Von der Schallplatte erklingen Tangoklänge. Andrei sammelt die Schallplatten ein. Der Tango ist zu Ende. Andrei will das Grammofon zumachen.
Mädchen kommen gelaufen: »Andrei, noch eine!«
»Nein, Mädels, für heute reicht es. Gutes in kleiner Dosierung.«
»Andrjuscha, nur noch die Rückseite.«
Er holt eine Schallplatte hervor.
»Andrei, welche ist das?«
»Tanzt, Mädels! Der letzte Walzer!«
Walzerklänge erklingen. Andrei fordert eines der neben ihm stehenden Mädchen auf. Da, er umfasst sie flink an der Taille und führt sie mühelos und behutsam, schaukelt sie hin und her, dann wirbelt er sie im Kreis, wirbelt sie schnell, gekonnt, so schön … Die Schallplatte ist zu Ende. Andrei bedankt sich bei seiner Partnerin, geht zum Grammofon, nimmt die Schallplatte herunter, legt sie in die Kiste.
»Andrei, eine letzte. Das kostet dich doch keine Mühe.«
Andrei zieht die Kurbel heraus: »Nein, Mädels, heute bleibe ich unerbittlich.«
»Es ist doch noch nicht mal elf.«
»Trotzdem, Mädels, wir müssen alle ins Bett. Solchen kleinen Kindern wie euch tut es nicht gut, so spätabends noch auf zu sein.«
29. August
Heute hat mir Mama Lena eine furchtbare Wahrheit offenbart. Heute hat sie sich getraut, mir zu sagen, dass meine Mama nicht mehr lebt 33 . Ich glaube es noch nicht. In mein Bewusstsein ist es noch nicht eingedrungen. Aber ich spüre schon, wie die Leere der Einsamkeit mich
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