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Lenas Tagebuch

Lenas Tagebuch

Titel: Lenas Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Muchina
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lahmzulegen beginnt. Worte können nicht wiedergeben, wie sehr wir einander geliebt haben. Nur die leibliche Mutter und ihre Tochter können sich so sehr lieben.
    Mein klarer Stern, der du bist!
    Mein Blümchen in der Wiese!
    Das so schön ist,
    Mein Vöglein aus dem Paradiese.
    Es gibt keine Worte dafür,

    Wie lieb Lenusja ist,
    Kein Mädchen auf dieser Welt hier
    Ist besser als Lenusja mein.

    Mir zittert die Hand. Das Herz flattert in der Brust. Sie ist schon am 1. Juli von uns gegangen.

    – – –
    Am 1. Juli 1941, während des blutigen Krieges gegen die Deutschen, bist du in deinem 44. Lebensjahr von uns gegangen, und ich weiß noch nicht einmal die Einzelheiten über deinen Tod.
    Meine Mama, meine geliebte, teuerste Mama. Du bist nicht mehr unter den Lebenden. Wie kann ich das überleben? Es bricht mir das Herz. Da ist er, der erste Schlag, den mir das Schicksal schickt. Ich zittere am ganzen Körper. Ich habe Angst. Ich muss sofort zu ­Tamara gehen.
    Ich will zu Wowa gehen. Ich will nicht zu Hause bleiben. Alles ekelt mich an.

    – – –
    Die Deutschen haben Dnjepropetrowsk eingenommen. Man sagt, sie nähern sich Gatschina. In unserer Stadt werden Bunker gebaut. Leningrad verwandelt sich in eine Festung.
    Wie sehr wünsche ich mir, einen geliebten Menschen zu haben, damit wir uns in dieser schrecklichen Zeit einander schwören könnten, dass wir, wenn wir am Leben bleiben, in einigen Jahren unser Leben für die Ewigkeit aneinander binden werden.
    Oh, was für ein Kummer! Wie weh das tut. Nun, da meine liebste Mama nicht mehr auf der Welt ist, möchte ich so sehr geliebt werden.
    Wie weh das tut. Ich zittere am ganzen Körper. Da ist er, der erste Schicksalsschlag. Ich bin erst 16 Jahre alt, und ich habe bereits den ersten Schicksalsschlag erlitten. Was hat das Schicksal noch für mich vorgesehen? Ich weiß es nicht.

    Tausende Menschen kommen an der Front ums Leben, und unter ihnen sind 16-jährige Jungen, so alt wie ich.

    Seit heute bin ich nach dem neuen Erlass von Woroschilow 34 vom Arbeitsdienst befreit. Weil ich 16 bin, und nach dem neuen Erlass werden junge Frauen erst ab 18 zum Arbeitsdienst eingezogen, junge Männer ab 16. Heute kam Tamara mich besuchen, wir hatten es schön miteinander. Sie hat mir viel Interessantes erzählt. Später habe ich die Geschichte »Der Hund« von Turgenjew 35 vorgelesen.

    Nun einige Erinnerungen an Vergangenes:
    Einmal stürmte abends jemand in unser Zimmer und rief: »Leute, schaut mal, da brennen Flugzeuge!«
    Wir sind natürlich alle hinausgerannt. Wir sahen, dass vor uns auf dem Feld drei gigantische Feuer loder­ten und dicker schwarzer Rauch aufstieg. Da brannten tatsächlich drei Flugzeuge. Wie sich später herausstellte, war eins davon eines unserer Jagdflugzeuge und die anderen beiden deutsche Bomber. Die ganze Nacht brannten diese drei ungewöhnlichen Feuer. Und auch morgens noch qualmten ihre Überreste leicht. Mit unserer Ruhe war es vorbei. Aber schon vier Tage später hatten wir uns an alles gewöhnt: Über unseren Köpfen tobten Luftkämpfe, wie irrsinnig kreisten über uns Flugzeuge, in unterschiedlicher Tonlage knatterten die Maschinengewehrsalven. Über unseren Köpfen flogen Flakgranaten pfeifend vorbei, und wir sahen, wie sie in der Höhe explodierten: erst ein feuriger Blitz und dann eine leichte weiße Wolke, die einem geöffneten Fallschirm sehr ähnlich sieht. Danach löst sich diese Wolke langsam auf. Alle Flakgeschütze hören sich anders an: Die einen donnern, die anderen röhren, die dritten knallen. Manchmal findet ein so lautes Flak­konzert statt, dass man direkt Angst bekommt. Das Donnern und Krachen ist ohrenbetäubend und wird von einem neuen Laut durchdrungen, einem hohen, schrillen Pfeifen, es pfeifen die Granaten. Bumm, bumm – pfft. Krach, bumm – pfft. Kawumm, bumm, kawumm – pfft.
    Zu alldem gesellte sich das kaum hörbare, aber stetige und unheilverkündende Brummen feindlicher Flugzeuge. Sie sind kaum zu sehen, diese feindlichen Flugzeuge. Normalerweise sind es kleine weiße Punkte am klaren blauen Himmel und schwarze Punkte vor dem Hintergrund der Wolken. Da sind sie, die Feinde, neun Stück. Die Flak schießt wütend, aber sie fliegen, sie fliegen zielstrebig, sie fliegen unbeirrt, sie fliegen dorthin, wo im blauen Dunst mein teures Leningrad liegt. Werden die Flakgeschütze sie etwa nicht erreichen? Aber nein. Da teilt sich die Neunergruppe in kleinere Gruppen auf. Sie biegen seitwärts ab, sie steigen noch höher,

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