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Lenas Tagebuch

Lenas Tagebuch

Titel: Lenas Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Muchina
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Nahrung nimmt der Körper nur wenig auf, den größten Teil scheiden wir als Urin wieder aus. Wir müssen sehr oft auf den Topf. Das essen wir: Suppe, heiße Suppe. Satt macht sie uns deshalb, weil sie heiß ist und es viel gibt, das heißt viel Flüssigkeit, aber an Nahrhaftem sind keine 10 g darin. Denn schon in der Kantine wird eine dünne Suppe ausgeteilt, und wir verdünnen sie zusätzlich noch mit Wasser. Deshalb werden wir von Tag zu Tag schwächer.
    Gestern hat uns Tante Sascha von ihrer Erfindung erzählt. Vielleicht werden wir ihr dadurch unser Leben verdanken. Es geht um Folgendes:
    Gestern ging Mama aus irgendeinem Grund zu ihr und kehrte fröhlich zurück. Tante Sascha hatte sie Sülze probieren lassen, die sie aus bestem Tischlerleim gemacht hatte, und gab ihr eine Platte von dem Leim, damit wir es auch ausprobieren konnten. Mama fing sofort mit der Arbeit an. Sie kochte Wasser, ungefähr zwei Teller voll, und löste die ganze Platte darin auf, dann ließ sie das alles aufkochen und goss es dann in die Teller, die sie ans Fenster stellte. Als wir um sechs Uhr morgens aufwachten, war unsere Sülze fertig. Sie schmeckte uns beiden sehr gut. Mir persönlich sehr. Als wir etwas Essig hinzufügten, war sie hervorragend. Sie schmeckt wie Fleischsülze, man glaubt gleich ein Stück Fleisch zu essen. Und sie roch gar nicht nach Tischlerleim. Diese Sülze ist ganz ungefährlich, im Gegenteil, sie ist sehr nahrhaft. Denn bester Tischlerleim wird aus Hufen und Hörnern von Hausvieh gemacht. Einige Leute kaufen doch extra die Hachsen junger Tiere mit den Hufen dran und machen daraus Ragout und Sülze. Auf diese Weise haben Mama und ich jetzt beste Chancen, zusätzlich Nahrung ohne Marken zu bekommen.
    Mama hat jetzt im Theater genau so einen Leim. Sie hat sich erst vor Kurzem für ihre Arbeit vier Kilo aus dem Magazin bestellt, das sind etwa 20 Platten, und eine Platte – das sind drei volle Teller. Mama wird versuchen, noch mehr von diesem Leim zu bekommen, und dann haben wir für einen ganzen Monat jeden Tag einen vollen Teller leckere, nahrhafte Sülze.
    Wie das Sprichwort sagt: »Not macht erfinderisch.« Ich habe schon weitere Verwendungsmöglichkeiten dieser Sülze erdacht. Wenn man in den Teller zum noch heißen Leim Fruchtmus, Sirup, Wein oder etwas Ähnliches hinzufügt, dann gibt es, wenn alles abgekühlt ist, ein hervorragendes Gelee (aus Wein oder Saft), und mit Fruchtmus, besser noch mit Marmelade, wenn man etwas mehr hinzufügt, sollte eine Art Fruchtgummi herauskommen, das heißt eine süße Masse, die man mit dem Messer in Stückchen zerschneiden und zum Tee essen kann.
    Da lässt sich noch mehr ausdenken, man muss nur anfangen. Zum Beispiel, wenn Mama heute Fleisch­frika­del­len bekommt, wollen Mama und ich echte Fleischsülze zubereiten: Wir kochen in dem Leim die zerkleinerte Frikadelle mit, davon erhält das Ganze einen Fleisch­geschmack, und wir können dann noch die Fleischstückchen herausfischen.
    Ich bin so froh, dass wir an den Leim gedacht haben. Das wird uns, besonders Mama, viel Kraft geben.

    Heute früh ging das Radio, aber jetzt ist wieder kein Empfang. In unserem Zimmer ist es sehr kalt, ich schreibe, in die Decke gewickelt, Tagebuch. Ich warte auf Mama, es ist schon nach drei, sie hat gesagt, sie käme um zwei. Irgendetwas wird sie heute mitbringen. Vielleicht kommt sie deswegen so lange nicht, weil sie nach Konfekt ansteht. Denn bei ihr im Theater wurde zu Neujahr Konfekt ausgeteilt, vielleicht gibt es heute auch welches, heute ist ja der letzte Tag dieser Dekade. Leider ist das unwahrscheinlich. Aber vielleicht gibt es Sirup und Kaffee zum Gelee?
    Heute habe ich, wie es mir Lida gestern versprochen hat, zwei Portionen Suppe bekommen. Es ist Spinatsuppe, in der Suppe ist nichts drin, aber wenigstens ist es Suppe und – es gibt zwei volle Teller davon.
    Morgen ist schon eine neue Dekade. Wir können wieder zwei Suppen zu je 25 g auf Marken bekommen oder ein Hauptgericht. Bei Mama gibt es manchmal Presskuchenfladen mit Fruchtmus, dafür werden Nährmittelmarken für 50 g abgeschnitten. Ich denke, dass sich das zu nehmen lohnt. Denn für 25 g gibt es zwei Presskuchenfladen, folglich macht Press­kuchen­fladen für 50 g vier kleine Presskuchenfladen. Wir können die Fladen unter uns aufteilen und aus Fruchtmus mit Leim das Fruchtgummi machen, das ich oben ­erwähnt habe.
    So, jetzt kann ich nicht mehr schreiben. Es ist schon ganz dunkel.
    Und da kommt Mama!
    12/I 42
    Es ist

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