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Lenas Tagebuch

Lenas Tagebuch

Titel: Lenas Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Muchina
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nichts kommt dabei heraus, alles fällt mir aus der Hand. Das sind die Folgen der Kälte. Am Tage ist es bei uns nur am Fenster hell, aber dort ist es so kalt, dass man sich mit nichts beschäftigen kann, die Hände werden eiskalt. Du möchtest wieder denken wie nachts, aber du kannst überhaupt nicht denken.
    Die Folgen der Kälte sind schrecklich, nicht nur dass die vom Frost gekrümmten Finger nichts mehr festhalten können, auch alle Gedanken verflüchtigen sich irgendwohin. Stattdessen schießen mir nachts viele Gedanken durch den Kopf, weshalb ich gewöhnlich die halbe Nacht nicht schlafe und mich von einer Seite auf die andere wälze. Ich möchte nicht denken, kann aber nicht aufhören zu denken. Doch jetzt am Tage ist der Kopf ganz leer, und ich kann an gar nichts denken. Ich kann weinen, so viel ich will. Ich möchte überhaupt nichts tun, aber hinlegen möchte ich mich auch nicht. Einfach nur stehen bleiben und auf einen Punkt ­starren.
    Ich hätte früher nie gedacht, dass die Kälte auf den Menschen eine solch mörderische Wirkung haben könnte. Jetzt stehe ich hier und schreibe mit frostklammen Fingern, langsam bringe ich Buchstabe für Buchstabe zu Papier, ich könnte mich hinsetzen, aber ich möchte keine überflüssige Bewegung machen. Meine Beine sind wahrscheinlich schon einen ganzen Monat nicht mehr aufgetaut. Draußen herrscht grimmige Kälte. Die Wintersonne bescheint die Dächer der ­Häuser.
    Morgen ist ein Trauertag, der Jahrestag von Lenins Tod. Alle glauben überzeugt den Gerüchten, dass morgen die Brotration erhöht wird. Auch ich möchte glauben, aber ich traue mich nicht. Die letzte Zeit bekommen wir ein herrliches Brot, solches gab es selbst in Friedenszeiten nicht. Das ist kein Roggenbrot, es ist aus reinem Weizenmehl. So wohlschmeckend, ein Genuss. Die Kruste ist durchgebacken, es ist leicht, bricht nicht, bröselt nicht, es lässt sich leicht mit dem Messer schneiden, aber 200 g, das ist viel zu wenig, um von diesem Brot satt zu werden. Es ist, als würden wir uns mit Feinkost bewirten. Das ist schon ärgerlich.
    Die Leute sagen, dass wir morgen mehr Brot bekommen werden, sie sagen, dass Fett ausgeteilt wird. Sie sagen, dass wir das Schwerste schon hinter uns haben, dass es jetzt leichter wird. Sie sagen, dass wir viele Lebensmittel erhalten werden. Sie sagen, dass wir alle die Sanatoriumsration erhalten werden. Sie sagen, sie sagen, ohne Ende sagen sie, und du weißt nicht, ob du es glauben sollst oder nicht. Man möchte ja so gerne. Wir sind alle so erschöpft, so am Ende unserer Geduld, dass einem vom Leben allein ganz elend wird.

    Heute bin ich ganz schlechter Stimmung. Mir ist elend, so elend, es liegt mir alles so schwer auf der Seele, ich will mich fallen lassen, einschlafen. Es ist kalt, stets fühle ich ungestillten Hunger. Es ist kalt. Das ist furchtbar. Wenn wir es warm hätten, dann wären alle Leiden, alle Entbehrungen nur halb so schlimm.
    An den Fronten ist alles unverändert. Die Unsrigen greifen an und schlagen die Deutschen vernichtend auf Schritt und Tritt. Die Deutschen hinterlassen bei ihrem Rückzug nur menschenleere Wüste. Alles wird zerstört, verbrannt, vernichtet.
    Schrecklich sich vorzustellen, welche furchtbaren Grausamkeiten die Faschisten begehen. Sie verwandeln die verlassenen Gebiete in eine entvölkerte Einöde, und das geschieht planvoll, aufgrund von Sonderbefehlen 74 . Trümmer, Aschehaufen und Leichenberge – das finden unsere Soldaten in den zurückeroberten Gebieten vor. Die Haare stehen einem zu Berge, und das Blut gefriert einem in den Adern bei dem Gedan­ken, dass das alles kein Traum ist.
    25/I.
    Gestern wurde die Brotration erhöht. Jetzt sieht es mit dem Brot folgendermaßen aus:
    Angehörige
Angestellte
Arbeiter
vorher
200 g
200 g
350 g
jetzt
250 g
300 g
400 g
    Aber alle sind sehr unzufrieden, sie hatten mehr erwartet.
    Es ist unvorstellbar, wie Mama und ich jetzt leben. Schon den zweiten Tag herrscht draußen grimmiger Frost bei wolkenlosem sonnigem Himmel. Wir haben wenig Feuerholz, wir verbrauchen am Tage nur einige Späne, um unser Essen warm zu machen. Im Zimmer ist es schrecklich kalt, wir leben nur unter der Bettdecke.
    Heute Morgen ging ich Brot holen, nein, das stimmt nicht, ich wollte Brot holen, doch ich musste eine halbe Stunde in der Schlange stehen. Der Frost ist heute noch stärker als gestern, das Gehirn erstarrt, und er durchdringt die Knochen.
    Heute ist das Brot nicht so gut, für 1 Rubel 90 Kopeken, formgerecht,

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