Lenas Tagebuch
April
Heute beschloss ich, ab zwei Uhr zum Dienst zu gehen. Ich muss noch fünf Tage ableisten, den heutigen nicht mitgezählt. Ich habe jetzt Kraft und kann wirklich etwas tun. Wenn man richtig arbeitet und nicht nur auf das Ende der Arbeit wartet, geht die Zeit schneller vorbei.
Heute werde ich also um zwölf Uhr in die Kantine gehen und essen. Dann gehe ich zum Dienst. Und um acht komme ich nach Hause und lege mich sofort schlafen. So ist es, meiner Meinung nach, gut.
Heute ist es warm, aber bewölkt. Es schneit nicht. Ich habe gerade zwei Erbsen eingepflanzt. Im Zimmer ist es kalt, aber ich will meine letzten Holzscheite nicht verbrennen. Ich sehne mich so nach Zucker. Hoffentlich gibt es bald wieder Zucker.
Ich möchte etwas tun. Soll ich lesen? Wie schwer es ist, allein zu sein. Es ist niemand da, dem man seine Gedanken, Sorgen, Trauer mitteilen kann. Dabei hilft mir mein Tagebuch sehr. Und noch etwas tröstet mich: Mamas Porträt an der Wand. Dort sieht sie so gut aus, meine liebe, vielgeliebte Mama. Wie ist das Schicksal doch grausam.
4. April
Gestern kam ich gegen zwei Uhr von der Kantine nach Hause. Erst ab ein Uhr darf man Essen mit nach Hause nehmen. Gestern nahm ich Erbsensuppe und Nudeln mit. Ich kam nach Hause, aß und ging zum Arbeitsdienst. Wir arbeiteten bis um sieben. Zuerst musste ich Laster beladen und entladen. Das ist sehr schwer, aber dafür fuhr ich ein wenig herum.
Heute ist es seit dem Morgen klar und wolkenlos. Es friert. Da ist es nun April, und es friert. Heute gibt es im Geschäft Graupen. Morgen wird es Zucker geben. Heute Morgen war ich in der Bäckerei und habe mit einem Jungen ausgemacht, dass er mir ein Mäuschen beschafft. Ich werde ihm dafür 100 g Brot geben. So werde ich wenigstens ein Lebewesen bei mir haben. Ich werde nicht ganz so allein sein. Ich werde mit ihm alles teilen, was ich esse. Denn Mäuse sind ja Allesfresser. Ob so ein Mäuschen viel zu essen braucht?
Noch fünf Tage muss ich zum Arbeitsdienst. Halb so schlimm, irgendwie stehe ich das auch noch durch. Hoffentlich werde ich bald Vöglein haben können.
Maratstraße 29, Wohnung 6. Peskowa Jelisaweta Georgijewna. Veterinärin.
10/IV 42
Wie lange ich schon nicht mehr geschrieben habe! Seit dem 4. April. In dieser Zeit ist viel passiert. Es gibt so viel zu erzählen, dass ich mich gar nicht an alles erinnern kann. Ich will nur kurz sagen, dass ich in dieser Zeit beinahe zu Schenja gefahren wäre, aber nur einen Tag zu spät kam. Jetzt wird niemand mehr evakuiert. Die Evakuierung wird erst fortgesetzt, wenn der Ladogasee eisfrei ist. In diesen Tagen, bis einschließlich zum 6., konnte man problemlos wegfahren, wenn man sich an demselben Tag in die Listen eintrug. Davon erfuhr ich am 6. An diesem Tag ging ich erstmals zum Evakopunkt 101 und stellte mich zum Anmelden an. Die Warteschlange war nur kurz. Ich wollte am nächsten Tag, dem 7., fahren. Als ich erfuhr, dass man sich nur für denselben Tag anmelden kann, für morgen also erst morgen, verließ ich die Warteschlange. Denn am 6. konnte ich nicht fahren, ich hatte noch nichts gepackt. Ich wollte meine Abfahrt aber auch keinen Tag länger hinauszögern und am 7. fahren. Ich entschied, heute möglichst alles zu verkaufen, mich nachts schlafen zu legen und mich dann morgen für den Zug um fünf Uhr einzutragen.
Zuerst schleppte ich meine Nähmaschine ins Gebrauchtwarengeschäft. Auf Kommission konnte ich sie nicht abgeben, in bar wollte man mir aber nur 96 Rubel geben. Das war mir zu wenig. Ich rechnete mit wenigstens 125 Rubeln, auf keinen Fall weniger als 100. Also ging ich zum Markt. Schon auf der Straße hielt mich eine sehr intelligent aussehende Frau an. Ich sagte, ich wolle eine Nähmaschine für 200 Rubel verkaufen. Sie wollte sie sich ansehen und kam mit mir nach Hause. Sie bot mir 150 Rubel. Ich willigte ein, weil ich die erste beste Gelegenheit nicht verpassen und diese schwere Last nicht noch einmal durch die Gegend schleppen wollte. Als sie erfuhr, dass ich wegfahren wolle und alles verkaufe, begann sie sich Sachen auszusuchen. Zuerst Bücher, dann Geschirr, dann Klamotten. Dann bezahlte sie und sagte, sie komme gleich wieder, um die Nähmaschine zu holen. Sie kam mit ihrer Nachbarin. Erst am Abend ging sie weg. Sie kauften bei mir verschiedene Sachen für 570 Rubel. Danach ging ich zu Jakow Grigorjewitsch und vereinbarte mit ihm, dass er mir 550 Rubel gibt und dafür alle Sachen, die nach meiner Abfahrt noch in meinem Zimmer sind, ihm
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