Lenke meine Fuesse Herr
und engen Waldweg, der uns weiterführt, treffen wir eine kleine, rundliche Frau mit einem riesigen Rucksack und einem kunstvoll gedrechselten Pilgerstock. Christiane heißt sie, kommt aus Genf und will — ganz langsam, denn sie ist Anfängerin — nach Santiago. Als ich ihr erzähle, dass ich aus Augsburg komme, ruft sie: „Dann sind Sie der Christian!“ Inge hat ihr von mir erzählt, sie haben heute gemeinsam auf dem Campingplatz im Ort übernachtet. Die sei sehr früh losgelaufen heute, erzählt Christine, und sie liefe sehr rasch. Also hat Inge gerade mal vier Stunden Vorsprung — bin gespannt, ob ich sie einhole bis Le Puy. Es geht jetzt wirklich sehr steil bergauf und wir lassen Christiane sehr bald hinter uns. Wir fragen uns nur, wie diese Frau diesen Riesenrucksack bis nach Santiago schleppen will! Doch mein Rucksack trägt sich auch schon leichter und Gerhard erzählt mir, dass auch er in Rapperswil auf dem Steg die beiden Frauen getroffen hat, eine Stunde nach mir, und die haben starke Zweifel geäußert, dass ich überhaupt bis Genf komme.
Es geht so etwa 200 Höhenmeter hoch, dann wird die Strecke eben und führt praktisch nur über Feldwege. Ich gehe sehr schnell, möchte „Meilen machen“. Nach einem Ort mit einem großen Brunnen — herrliches kühles Wasser zum Waschen und Trinken — geht es steil abwärts nach Jongieux (Kirche leider abgesperrt). Doch dann der endlose Aufstieg in der prallen Sonne nach Jongieux le Haute! Arbeiter im Weinberg — schwitzend wie wir, und eine Frau fragt verwundert, ob es nicht „trop chaud“ sei zum Wandern!? Ich bin eigentlich der gleichen Meinung, doch ich stiefle tapfer hinter Gerhard her. Aber der Blick zurück übers Rhônetal entschädigt für vieles!
Drüben auf der Bergspitze eine Kapelle — und die Markierungen (wie auch der Führer) sagen: dorthin! Noch mal abwärts und bergauf, da ist eine Pilgerstatue aufgestellt, eine Madonna, die die Weinberge segnet und eine wunderschöne Kapelle, 1992 erbaut anstelle der historischen, die in der Französischen Revolution zerstört wurde. Wir sitzen im Schatten auf den Eingangsstufen — der Bau ist gewestet, ungewöhnlich bei christlichen Sakralbauten — und beschließen, nachdem wir Führer und Herbergsverzeichnis gewälzt haben: Wir gehen heute nach Yenne in die „Clo des Capucins“.
Zwei Monteure der Telecom kommen auf den Berg gefahren, halten drüben am Sendemasten, und als wir an ihnen vorüberkommen fragt uns der eine nach dem Woher und Wohin. Er erklärt dann seinem dunkelhäutigen Kollegen, was Santiagopilger sind und der kann kaum glauben was wir da tun! Dann das Warnschild: Glatt und steil! Gute Schuhe tragen, Hunde und Kinder „an die Leine“! Es geht wirklich in steilsten Serpentinen 200 Meter abwärts: Stufen, Laub — wie in den Alpen. Es folgt ein wunderschöner Marsch durch den Auwald, schattig, voller Vogelgesang. Ich bin zwar erschöpft, doch es geht mir gut. Endlich Yenne: ein malerischer alter Ort mit einer herrlichen, schlichten alten Kirche, die allein durch den Raum wirkt. Ich kann mich nur schwer losreißen!
Doch nun heißt es: Quartier machen! Wir fragen uns nach dem „Clo des Capucins“ durch. Die Direktorin schaut erst etwas bedenklich, doch dann kriegen wir ein schönes Zimmer, duschen, schreiben, waschen Wäsche, kriegen Tee — und dann gibt’s ein phantastisches Abendessen, dazu Wasser und sogar Wein.
Eine Gruppe Kinder aus Koblenz hat das Haus belegt und der Lehrer — wir essen am „Erwachsenentisch“ — stellt uns der Gruppe als Jakobspilger vor. Die Kinder kommen an unseren Tisch und fragen uns Löcher in den Bauch, bewundernd und interessiert. Die schlechte Meinung, die ich durch meine Tage mit Jugendlichen bei Kolping oder im Berufsförderzentrum von der heutigen Jugend habe, muss ich wohl revidieren. Der Lehrer — er ist selbst einmal acht Tage auf dem Jakobsweg gegangen, berichtet er stolz — erzählt uns ein bisschen über die Kinder — eigentlich alles Problemkinder und — jugendliche. Ich spüre, dass ich hier jemanden vor mir habe, der mit Leib und Seele Pädagoge ist, trotz langer Berufserfahrung noch nicht abgebrüht, voller Liebe, doch auch ein Verfechter konsequenter Disziplin.
Nach dem Essen telefoniere ich mit Silvia — ich halte mich nicht unbedingt an den ausgemachten Freitagmorgen, sondern habe zwischendurch einfach Sehnsucht und möchte ihre Stimme hören. Als ich in unser Zimmer zurückkomme, fehlt einer meiner Slips! Wir hatten
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