Lenke meine Fuesse Herr
Fensterbeschläge — doch ich bringe das Fenster wenigstens auf. Auf der fensterlosen Toilette finde ich keinen Lichtschalter, finde mich damit ab, im Dunkeln zu hocken — da bemerke ich, dass die Beleuchtung mit der Türverriegelung gekoppelt ist — zum Schießen! Einkaufen (Kirche ist abgesperrt), Dusche sparen wir uns: wenig einladend. Das Essen ist nicht so besonders, dafür gibt es gutes belgisches Bier — und die Bekanntschaft mit Silvya und Jürn aus der Schweiz (Aarau).
Dienstag, 31. Mai 2005
Maclas – Saint Saveur-en-Rue 28 km
Wir gehen zurück zur Kreuzung des Jakobsweges mit der Straße, die wir gekommen sind — gestern Nachmittag war uns die Markierung aufgefallen. Um sieben sind wir losgelaufen, nachdem ich in der Nacht miserabel geschlafen habe, wirr geträumt, immer wieder aufgewacht bin. Ich bin kribbelig, möchte wieder alleine laufen — doch körperlich fühle ich mich gut.
Das Wetter ist schön, der frische Wind kühlt. Wir sind von 400 Meter auf 690 gestiegen, dann wieder herab auf 585, als wir in Saint-Julien-Moulin-Moulette angekommen sind. Ein schöner, malerischer Ort, mit harmonischer Kirche, die zum Verweilen einlädt, doch ist hier gleich eine Beerdigung. Ich suche einen Geldautomaten: keiner im Ort, und ich habe nicht mehr allzu viel Bargeld. Aus dem Ort hinaus, bergauf links ein interessanter Kirchhof mit Kreuzweg und einem Kalvarienberg in einer Grotte. Mein linker Fuß schmerzt, trotzdem geht es flott weiter. Doch nach einigen Kilometern:
Aus! Schluss! Ende! Keinen Schritt mehr!
Die vierte Zehe an meinem linken Fuß fühlt sich an, als sei sie total zerfetzt, dazu schmerzt das Fußgelenk — aus! Ich habe das Gefühl, als quelle mein Fuß aus dem Stiefel, die Schmerzen sind fast unerträglich. Das Gelenk, der Zeh, der Ballen — alles fühlt sich an wie eine einzige Blase mit ständigem Pochen und Brennen. Gerhard redet mir gut zu, als ich mich vor einem Bauernhof auf einer Bank niederlasse. Er befreit mich von Stiefel und Socken — das schmerzt wahnsinnig — und dann besehe ich mir den Schaden: Am vierten Zeh hat sich eine Blase gebildet, die unter den Dritten gewachsen und aufgeplatzt ist und jetzt weit klafft, dazu eine Druckblase unter dem Ballen. Ich schneide die überschüssige Haut weg, öffne die Druckblase und lasse sie auslaufen, desinfiziere, Gerhard verpflastert. Der Druck ist weg und der Fuß schmerzt weniger. Zum Schutz der offenen Wunden frische Socken über Sprühverband und Pflaster und dann Sandalen. So komme ich hoffentlich bis in die nächste Unterkunft!
Ganz langsam, mühsam und schmerzlich geht es weiter. Unter uns liegt Bourg-Argental und jenseits steigt das Tal an zu einem Pass mit etwa 1200 Metern — wie soll ich das schaffen?!! Doch hier im Ort gibt es laut Führer kein Quartier. Hinab ins Dorf, Kirche: schön stiller Raum mit leiser Musik. Wir sitzen, lassen den Raum wirken, ich bete, dass es weitergeht. Dann raus und den Berg hinan. Es geht stetig bergauf, erst auf vielbefahrener Straße, dann eine steile V-förmige Rinne, die den Füßen gar nicht gut tut, später der übliche steinige Feldweg. Nun kommen wir immer wieder auf eine alte Eisenbahntrasse, die unter Viadukten hindurch, in Einschnitten und auf Dämmen verläuft. An einem Weiler machen wir Rast — und da kommen Silvya und Jürn. Sie rufen für uns in der nächsten Gîte an, in der auch sie übernachten werden und gehen schon voraus. Ich lasse Gerhard mit ihnen ziehen und humple mühsam hinterdrein.
Die Gîte ist in einem alten Bauernhof mit Metzgerei, hell, freundlich, die Hausmutter weist uns blitzsaubere Zimmer zu. Silvya macht für uns Tee. Ich bin dankbar für meine Badeschlappen mit den dicken weichen Sohlen! Gerhard näht seinen aufgeplatzten Schuh mit Nylonfasern von Garbenbindegarn, das wir unterwegs aufgelesen haben: Er macht das wie ein gelernter Schuster, nur dass er seine große Nadel mit der Zange von meinem Leatherman-Tool durch das dicke Leder ziehen muss. Wenn er nur nicht immer wieder die Geschichten erzählen würde, die ich schon x-mal gehört habe!
Zum Abendessen gibt es eine deftige Suppe mit Gemüse aus dem Garten, hervorragende brühfrische Schweinswürste aus der Metzgerei des Hausherren, Pellkartoffeln, Käse, Kirschkuchen, dazu zwei Flaschen Landwein, Quellwasser — paradiesisch! Um zehn Uhr fallen wir todmüde in die Betten.
Mittwoch, 1. Juni 2005
Saint-Saveau-en-Rue – Montfaucon 30 km
Wir bekommen um sieben Uhr Frühstück, gut und reichlich.
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