Lennox 02 - Lennox Rückkehr
dahin herrscht das Chaos. Und Chaos ist die ideale Umgebung für jemanden wie John Largo, um Geschäfte zu machen.«
»Sie glauben nicht, dass Barnier direkt daran beteiligt ist?«
»Das habe ich nicht gesagt. Kann sein, dass er nicht weiß, was er verschifft. Nach allem, was wir wissen, wäre es sogar möglich, dass Alain Barnier John Largo ist.«
»Unwahrscheinlich«, erwiderte ich. »Barnier ist hier etabliert. Außerdem sieht er zu sehr wie ein internationales Verbrechergenie aus, um eines zu sein. Die eleganten Klamotten, der französische Akzent und das Ziegenbärtchen ... ich glaube, John Largo verhält sich weniger auffällig.«
»Vielleicht ist er so was wie ein Robin Hood«, sagte Devereaux. »Vielleicht ist John Largo eine Organisation und kein einzelner Mann. Oder Barnier ist ein Teil von John Largo.«
»Er hat einen Partner. Jemanden namens Claude Clement. Hier ...« Ich nahm mein Notizbuch aus der Seitentasche meines Smokings, schrieb die Adressen auf ein leeres Blatt, riss es heraus und gab es Devereaux. »Das habe ich bei ihm entdeckt, als ich Büroklammern geklaut habe. Vielleicht stecken Barnier und Clement gemeinsam in der Sache. Was nun?«
»Ich setze mich mit Washington in Verbindung. Mal sehen, ob wir irgendwas über Barnier oder den anderen Kerl haben. In der Zwischenzeit sollten Sie ihn im Auge behalten. Ich schlage außerdem vor, dass Sie mir alles mitteilen, was Sie erfahren, sobald Sie es erfahren haben. Andernfalls biete ich McNab oder Ferguson vielleicht meine professionelle Meinung zu dem Übergriff gegen einen Streifenbeamten an. Und vergessen Sie nicht, ich habe noch immer tausend Dollar für Sie, falls Sie mich zu Largo führen. Verschweigen Sie mir nicht noch einmal etwas, Lennox.«
»Da ist noch eine Sache«, sagte ich. Es war mir gerade erst eingefallen. Ich nahm wieder mein Notizbuch heraus und schrieb Devereaux einen weiteren Zettel. »Das ist die Adresse in New York, wohin die Jadedämonen gehen: Santorno Antiques and Curios.«
»Danke.« Er nahm das Blatt und steckte es in die Tasche, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen.
Danach sprachen wir nicht mehr viel. Ich fuhr ihn zum Hotel zurück und wartete, bis ich sah, dass man ihn hineinließ; wir hatten drei Uhr morgens, und es dauerte eine Ewigkeit, bis ein ältlicher Nachtportier ihm die Tür öffnete. Devereaux drehte sich um. Halb winkte, halb salutierte er; dann verschwand er im Hotel. Ich saß noch einen Augenblick da und starrte auf die geschlossene Eichentür. Ich hatte Devereaux alles erzählt, was ich wusste. Fast alles. Den Besuch am Denkmal der Freien Französischen Marine hatte ich nicht erwähnt. Wahrscheinlich hatte es nichts zu bedeuten, aber davon musste ich mich zuerst einmal selbst vergewissern. Ich war hundemüde. Müde bis auf die Knochen. Mir schwirrten jede Menge Gedanken durch den Kopf, aber mein Hirn hatte die Jalousien heruntergelassen und das Schild an der Tür herumgedreht.
Das Denken musste bis morgen früh warten.
16.
Am nächsten Morgen fuhr ich als Erstes noch einmal zur Mitchell Library. Diesmal traf ich mich nicht mit jemandem, sondern suchte nach einer ganz bestimmten Information.
Bei meiner Suche half mir eine entgegenkommende Bibliothekarin, die auf meine Masche als hilfloser Heini hereinfiel. Sie war brünett, um die dreißig und kleidete sich auf eine ansatzweise bohemehafte Art – gerade so bohemehaft, wie eine städtische Bibliothek es zuließ. Das dunkle Haar trug sie offen. Ich hatte sie quer durch den Lesesaal erspäht. Sie hatte einen beeindruckenden Stapel dicker Nachschlagewerke in den Armen gehabt, und ein gleichsam beeindruckender Vorbau hatte auf den Büchern geruht. Sie erschien mir wie eine Freidenkerin: Ich fand geistige Beweglichkeit bei Frauen anziehend. Wir kamen sofort gut miteinander aus. Natürlich konnte es an unserer gemeinsamen Bibliophilie liegen, aber ich vermutete, es lag eher daran, dass ich mit einem Blick ganz offensichtlich gezeigt hatte, wie sehr ich ihre größten Vorzüge schätzte.
Jedenfalls beschleunigte ihre Mithilfe meine Suche enorm und machte sie viel zielgerichteter, als wäre ich selbst herumgestolpert. Ich brauchte fünfundvierzig Minuten, um die Zeitungsartikel, die Einsatzberichte und die Verlustlisten zusammenzustellen, die ich benötigte. Natürlich gab es Einzelheiten, die ich nicht erfahren würde. Großbritannien neigte zur Geheimniskrämerei. Obwohl das Kriegsende fast zehn Jahre zurücklag, lagerten in den Kellern von
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