Lennox 03 - Der dunkle Schlaf
Allerdings, das muss ich sagen, ist mir ein gutes Kopfgeld angeboten worden.«
»Ich kann Sie sicher für Ihren Verlust entschädigen. Mehr als entschädigen.«
»Darauf habe ich gezählt.« Ich lächelte.
»Könnten wir vielleicht die Artillerie abziehen?« Strachan machte eine Kopfbewegung zum Webley.
»Oh, ich fürchte, nein. Vorerst jedenfalls. So grün hinter den Ohren bin ich dann doch nicht.«
»Das sehe ich, Mr. Lennox. Das sind Sie in der Tat nicht. Aber wie Sie sagen, die Zeit könnte drängen. Was wollen Sie?«
»Die Wahrheit. Mehr nicht. Ich finde, dass jede Geschäftsbeziehung auf Vertrauen beruhen sollte. Deshalb möchte ich wissen, wie Ihnen diese Täuschung um Colonel Williamson gelungen ist.«
»Von wegen Täuschung, Lennox. Ich bin Henry Williamson. Ich bin zu ihm geworden. Ich habe so lange als er gelebt, dass mir Joe Strachan mit seinen vulgären kleinen Methoden fremd geworden ist.«
»Und der echte Williamson?«
»Lange tot. Ich möchte Ihnen etwas erklären. Im Ersten Weltkrieg habe ich erkannt, was sich an Klasse und Privileg am meisten auszahlt: Man hat immer jemanden, der Dinge für einen erledigt. Die niederen Klassen. Und in einem Krieg übernehmen sie für einen das Sterben. Das war der größte Vorteil: dass man aus der Schussbahn bleibt. Und wenn ich nicht dazugehörte, so konnte ich mich doch wenigstens so verhalten.«
»Ihre kleinen Ausflüge, bei denen Sie Offiziere nachahmten.«
»Als Nachahmung begann es, doch ich stellte fest, dass ich es allzu rasch verinnerlichte. Nachdem ich gefasst worden war, brachte ich die Army in Verlegenheit. Ich spielte meine Rolle so überzeugend, dass ich sie den ganzen Prozess hindurch aufrechterhielt. Das brachte sie alle völlig aus dem Konzept. Ein Cockney oder ein Liverpooler oder jemand mit schwerem Glasgower Akzent – so jemanden vor ein Erschießungskommando zu bringen fiel ihnen nicht schwer, aber jemanden, der wie ein Offizier redete, konnte man doch nicht einfach an die Wand stellen. Sie wussten, dass ich sie nur nachmachte, aber sie konnten nicht daran vorbeiblicken oder vorbeihören. Als ich gefragt wurde, ob ich vor der Urteilsverkündung etwas zu sagen hätte, erwiderte ich, ich wolle meiner Familie die Schande ersparen, die sie befiel, wenn ich als Feigling gebrandmarkt wurde … als ob meine Familie einen Furz um mich gegeben hätte! Ich fragte, ob man mich nicht statt vor ein Erschießungskommando auf gefährliche Missionen ins Niemandsland schicken könnte. Missionen, bei denen ich am Ende unausweichlich fallen müsste.«
»Und darauf hat man sich eingelassen?«
»Wie gesagt konnten die Leute nicht an Haltung und Eloquenz vorbeisehen. Ich sagte ihnen, ich würde lieber für mein Vaterland kämpfend sterben, denn als Feigling erschossen werden; ich sei kein Feigling. Das war der Ausweg, nach dem sie gesucht hatten, und ich wurde der Feindaufklärung zugeteilt. Letzten Endes bekam ich den Befehl, zu den feindlichen Gräben hinüberzurobben und so viel über ihre Aufstellung herauszufinden wie möglich. Das tat ich. Und am Ende bekam ich dafür sogar einen Orden.«
»Wie haben Sie überlebt?«
»Zu Anfang tat ich ein paar Mal meine Pflicht und kehrte mit echten Berichten zurück. Mit ihrer Hilfe wurde unser Artilleriebeschuss auf die sinnvollsten Punkte der feindlichen Linien gelenkt. Nach dem ersten Trommelfeuer, bei dem sie nicht nur die Stellen in den feindlichen Gräben verfehlten, die ich aufgezeigt hatte, sondern alle feindlichen Gräben, entschied ich, dass es keinen Sinn hatte, mein Leben für nichts zu riskieren. Sie hatten mich mit einem anderen Deserteur ausgeschickt, doch er trat auf eine Mine, und ich konnte auf mich allein gestellt aufklären.
Unser Kommandeur schien anzunehmen, dass ein Mann nur halb so gut entdeckt werden konnte wie zwei. Deshalb stieg ich im Dunkeln aus dem Graben, legte das Niemandsland zur Hälfte zurück, suchte mir einen tiefen Granattrichter und schlief ein paar Stunden. Wenn ich zurückkehrte, lieferte ich einen Bericht ab, der zwar frei erfunden war, aber das berücksichtigte, was ich bei den ersten Vorstößen gesehen hatte. Ich änderte nur die Stellungen und die Zahlen, tauschte ein paar Regimenter aus, solche Dinge.«
»Und niemand wurde misstrauisch?«
»Ziemlich lange nicht, dann befragte mich ein junger Captain des Nachrichtenkorps über einen meiner Berichte. Er sagte, ich könnte die Regimentsabzeichen, die ich gesehen haben wollte, überhaupt nicht gesehen haben.
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