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Lennox 03 - Der dunkle Schlaf

Lennox 03 - Der dunkle Schlaf

Titel: Lennox 03 - Der dunkle Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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jetzt seine Schuhe sehen: braunes Wildleder mit weichen Sohlen – der Grund, weshalb ich ihn hinter mir nicht gehört hatte. Seine Fußstellung verriet Standhaftigkeit und Entschlossenheit; an dem Burschen war nichts zögerlich. Wenn ich etwas versuchte, wäre er hundertprozentig darauf vorbereitet.
    Trotzdem tat ich es.
    Ich stieß mich mit der Hand, auf die ich mich gestützt hatte, von der Wand ab und warf mich mit dem lautesten Schrei, den ich zustande brachte, auf ihn: Er war es schließlich, der kein Aufsehen erregen wollte, nicht ich. Ich sah, dass er ungefähr in meinem Alter war und gut gebaut; definitiv war es nicht Gentleman Joe, egal ob als Gespenst oder im Fleische. Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf die Waffe und bekam deswegen keine Gelegenheit, einen Blick auf sein Gesicht zu erhaschen. Er wich meinem Stoß behände zur Seite aus, doch ich schwang die Faust nach ihm und streifte ihn am Kiefer. Er trat nach mir, traf mich gegen die Schienbeine, und ich landete mit ausgebreiteten Armen auf dem Pflaster.
    Ich rollte mich sofort herum, damit ich kein leichtes Ziel abgab, doch er schoss nicht. Als ich versuchte, mich aufzurappeln, raste der Griff seiner Pistole im hohen Bogen durch den Nebel auf meine Schläfe zu. Ich fing den heimtückischen Hieb ab, indem ich ihn mit dem linken Unterarm abblockte, dann versuchte ich erfolglos, mit der anderen Hand die Pistole zu packen, gleichzeitig rammte ich mein Knie nach oben zwischen seine Beine. Ich verfehlte seine Familienerbstücke, aber ich traf ihn in den Magen, und er krümmte sich zusammen. Wenn eine Schusswaffe an einem Kampf beteiligt ist, macht der Besitz mehr als neunzig Prozent der Miete aus, also versuchte ich erneut, sie an mich zu bringen. Anstatt sie zurückzureißen, wie die meisten es instinktiv getan hätten, drückte er sich gegen mich, als ich an der Pistole zog, und schlug mir, meine eigene Kraft nutzend, mit dem Griff gegen den Wangenknochen. Wir hatten offenbar die gleiche Abschlussklasse besucht. Auf meiner Backe spürte ich etwas Feuchtes, und die Welt geriet kurz, aber merklich ins Schwanken.
    Er rappelte sich keuchend auf, und ich sah, wie er die Waffe hob. Ich war ebenfalls schon fast wieder auf den Beinen und warf mich hastig zur Seite, rollte mich mehrmals ab, dann sprang ich auf und begann zu rennen. Ich hatte im Smog die Orientierung verloren, doch unter meinen Füßen schien der Boden anzusteigen, und ich vermutete, dass ich tiefer in die Nebenstraße hineinkam und mich von der Hauptstraße entfernte. Der dichte Nebel verbarg mich nun völlig. Doch für ihn galt das Gleiche, und im Gegensatz zu mir machte er mit seinen Schuhen keinen Mucks auf dem Pflaster. Ich sprintete blindlings ein paar Meter, dann blieb ich stehen und drückte mich gegen die Wand. Vorsichtig schob ich mich vor und verhielt mich so leise, wie ich konnte. Ich fand einen zugemauerten Eingang, drückte mich hinein und wartete auf den ersten Schuss, hoffentlich in die Richtung, wo ich gewesen war, und nicht dorthin, wo ich mich jetzt befand. Aber nichts passierte.
    Ich hatte nur einen ganz kurzen Blick auf sein Gesicht werfen können, und dabei war es zu allem Überfluss zu einer Fratze verzerrt gewesen. Erkennen können hatte ich nur, dass er dunkles Haar und ein hartes, eckiges Gesicht besaß. Ich war mir ziemlich sicher, auf seiner Stirn eine hässliche Narbe gesehen zu haben. Und ich war ihm noch nie zuvor begegnet.
    Ich drückte mich tiefer in die Nische des zugemauerten Eingangs und lauschte angestrengt auf jedes Geräusch. Im Smog fühlt man sich manchmal abgeschottet, einsam, als hätte jemand die Welt ausgeschaltet, und nichts existiert außerhalb der paar Schritte, die man sehen kann. Nur war ich nicht allein: Noch jemand irrte durch den Dunst und jagte mich mit einer Waffe in der Hand. Jeden Augenblick konnte er mein kleines Versteck aufstöbern, und dann kam es allein darauf an, wer am schnellsten reagierte. Gleichzeitig konnte er schon wieder auf halbem Wege nach Paisley sein.
    Ich wartete, ohne mich zu regen, alle Sinne auf den begrenzten Radius meiner Wahrnehmung gerichtet, bereit, mich auf jeden und alles zu stürzen, der oder das sich aus dem dichten Nebel herausschälte. Aber es geschah nichts. Ich wischte mir mit dem Handrücken die Wange ab. Er war rot verschmiert. Ich begann, über den Mann mit dem Revolver nachzudenken. Über seinen gefälschten Akzent und sein Können mit Faust und Waffe. Wenn er ein Gangster war, dann einer von denen, die

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