Lennox 03 - Der dunkle Schlaf
dir nichts zerpflückt.
»Sicher, es ergibt Sinn«, sagte ich, »und es könnte auch tatsächlich der Fall sein, nur haben wir einen Zeugen, der schwört, dass es Strachan war, den er 1942 gesehen hat, in Lochailort und in der Uniform eines Majors.«
»Blödsinn«, sagte Jock Ferguson. »Ich halte das nach wie vor für geistigen Dünnschiss.«
»Na, tun wir einfach mal einen Moment lang so, als wäre es kein Blödsinn. Sagen wir, es war wirklich Strachan, und er war dort, voll akkreditiert, als Major. Wie könnte das passiert sein?«
»Gar nicht«, sagte McNab.
»Seien Sie kein Spielverderber, Superintendent. Nehmen wir Strachans Anwesenheit in Lochailort als feststehende Tatsache an. Wie könnte er das erreicht haben?«
»Tja …« Ferguson zog das Wort nachdenklich in die Länge. »Wir wissen, dass er Erfahrung darin hatte, sich als Offizier auszugeben. Und dass er sich wirklich gut darauf verstand.«
»Deshalb ist es durchaus denkbar, dass er in einer Majorsuniform gesehen wurde …«
»Aber Lochailort gehörte zu den am stärksten abgesicherten Militärbasen im ganzen Land. Man bräuchte mehr als eine Uniform, einen Oberschichtakzent und ein befehlsgewohntes Gehabe, um dort hineinzukommen.«
»Genau.«
»Und damit bricht das ganze theoretische Kartenhaus auch in sich zusammen«, sagte Ferguson.
»Kommen wir noch einmal auf die Triple-Crown-Raubüberfälle zurück. Was, wenn sie nur Mittel zum Zweck waren? Soweit ich herausfinden konnte, verschwand Strachan monatelang. Er war wie vom Erdboden verschluckt. Was, wenn er Monate und Jahre damit verbracht hatte, woanders eine andere Identität zu etablieren? Vielleicht sogar mehr als eine? Was, wenn sein Plan darin bestand, mit der Beute aus den Triple-Crown-Raubüberfällen woanders etwas ganz anderes zu tun?«
»Und was?«, fragte McNab.
»Vielleicht nur ein anderes Leben aufzubauen. Ein Leben in einem Stil, von dem er fand, dass er ihm zustehe. Oder die Beute sollte in einen anderen Fischzug investiert werden – etwas Größeres als der Empire-Raub: einen Überfall auf einen Postzug oder einen Goldtransport oder den Diebstahl der Kronjuwelen, ich weiß es nicht. Doch dann passierten zwei Dinge. Erstens lief während des Empire-Raubs nicht alles nach Plan, und ein Polizist wurde ermordet; wenn es Strachans Absicht war, sich mit dem Geld zum Verbrecherkönig von Glasgow zu machen, dann hat er auf ganzer Linie versagt. Zweitens fiel Hitler in Polen ein, und alles wurde auf den Kopf gestellt. Großbritannien befand sich im Kriegszustand, und es wurde zehnmal schwerer, ein großes Ding zu drehen. Ich vermute aber, dass etwas anderes passiert ist. Ich bin mir nicht ganz sicher, was, aber ich kann mir denken, dass Strachans Vorstellung als Offizier Teil einer Identität war, die er für diese Zwecke aufgebaut hat. Irgendwie verschmolzen Fantasie und Wirklichkeit, und er wurde in eine echte Einheit eingezogen.«
»Kennen Sie die Geschichte von Märchen-Frankie Wilson?«, fragte McNab dumpf. Ich schüttelte den Kopf. »Inspector Ferguson hatte schon mit ihm zu tun, stimmt’s, Jock? Er ist ein zwanghafter kleiner Bastard. Ein zwanghafter Dieb und zwanghafter Lügner. Wir nennen ihn Märchen-Frankie, weil er seine Geschichten einfach nicht simpel halten kann. Wenn er versucht, sich aus einer Sache herauszureden, stolpert er immer wieder über seine eigenen verlogenen Äußerungen und denkt sich dann neue, noch absurdere Geschichten aus, um die Widersprüche zu erklären. Ehe Sie sich’s versehen, ist seine Lüge, weshalb er ein Brecheisen bei sich hatte, zu einer Geschichte epischer Breite mit einer Besetzung geworden, bei der selbst MGM pleitegehen würde. Aber man muss ihm einfach immer weiter zuhören, weil es so verdammt unterhaltsam ist, was er erzählt. Ich muss Ihnen sagen, Lennox, selbst Märchen-Frankie könnte sich nicht so etwas Hirnverbranntes ausdenken wie das, was Sie uns hier eintrichtern wollen.«
»Da könnten Sie recht haben.« Ich zuckte mit den Schultern. »Aber wir haben es nun mal nicht mit dem üblichen Glasgower Gesocks zu tun, und Sie können nicht abstreiten, dass es kein gewöhnlicher Schlägertyp war, der mich in meinem Büro überfallen hat.« Ich schüttelte ärgerlich den Kopf, als andere Gedanken auf mich einstürmten. »Wieso gibt es keine Fotografien von Strachan, egal wo? Ich sage Ihnen, er hat sein Verschwinden schon vor sehr, sehr langer Zeit geplant. Das ist kein Märchen, Superintendent. Das ist etwas ganz
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