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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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Festzelt: der größte Pilz, den man je gesehen hat. Ina, die mich im Schutz meiner Mauer aufstöberte, mich einfach an die Hand nahm und hinabziehen wollte: Komm schon, Bruno, komm, das gibt’s nur einmal im Jahr. Nein, sagte ich, von hier aus kann man alles schön überblicken. Vorn am Sperrseil fand mich niemand, ich guckte von der Mauer aus zu, saß vor dem Erlengebüsch, und als die Ausscheidungskämpfe begannen, da ging ich bis zur Holzbrücke vor, aber näher heran bin ich nie gegangen, nie so nah, daß ich die Augen der Pferde erkennen konnte.
    Schmalzgebackenes und gebrannte Mandeln, ein paarmal auch türkischen Honig ließ ich mir von Heiner Walendys kleinem Bruder holen, der hatte überhaupt kein Geld und rannte gern für mich zu den Buden hinunter, nur, damit er etwas abbekam. Allzu lange konnte ich die Wettkämpfe nicht beobachten; wenn ich genug hatte vom Getrappel und Gedröhn und vom Prusten und Wiehern, dann ging ich zu unseren Kulturen zurück, zur Senke, wo alles nur ganz gedämpft hinkam, und dort war es auch, wo Ina mir aufgeregt zurief: Niels, wenn du ihm die Daumen drückst, dann gewinnt er, dann wird er König, und ich hab ihr gleich wünschen geholfen und Niels die Daumen gedrückt, so heftig, daß er nach drei Tagen König geworden ist.
    Von allein wäre ich niemals ins Festzelt gegangen, aber der Chef wollte es, der Bürgermeister, er verfügte: Heute bleibt die Familie zusammen, und er selbst führte uns an den Tisch, der für uns reserviert war in dem Riesenzelt, und den er unseren Stützpunkt nannte. Und nachdem wir uns auf die Klappstühle gesetzt hatten, legte er uns nacheinander beide Hände auf die Schultern, geradeso, als wollte er uns andrücken.
    Die meisten trugen Reitanzüge, manche hatten ihre Lanzen am Tisch aufgepflanzt, auf einem Podest packte eine Drei-Mann-Kapelle ihre Instrumente aus. Träge schlappte die Zeltplane hin und her, am Himmel zogen weiße Wolken, prall wie Schweinsblasen, da war starker Wind zu erwarten. Wer etwas essen oder trinken wollte, der mußte es sich selbst holen von einem Verkaufsstand auf Rädern.
    Ich wußte schon im voraus, daß sie mich schicken würden, um alles anzuschleppen, und während ich noch versuchte, Ordnung in ihre Wünsche zu bringen, kam Niels an unsern Tisch, er trug bereits die Nadel und das glitzernde Brustgehänge, das ihm als König zustand, und als Ina ihm mit einem Kuß gratulierte, fragte er schnell, was er uns bringen könnte. Wir gingen gemeinsam zum Verkaufsstand, ich gab die Bestellungen auf, und Niels guckte mich von der Seite an und sagte anerkennend: Was du dir alles merken kannst, Bruno, ich hab schon die Hälfte vergessen; und später am Tisch, nachdem wir die Tabletts abgesetzt hatten, sagte er noch einmal: Ich hätte bestimmt dreimal gehen müssen, aber Bruno, der merkt sich alles. Er rückte dicht an Ina heran und teilte sich mit ihr den Stuhl, es machte beiden nichts aus, daß sie ganz schön wacklig saßen, mitunter fuchtelten sie und klammerten sich aneinander, um nicht wegzukippen.
    Wie er König geworden war, das konnte er weder dem Chef noch Dorothea erklären, die es immer wieder wissen wollten; das größte Verdienst gab er Fabian, seinem alten Pferd, das den gleichmäßigsten Galopp geht, den man sich denken kann, auf Fabian, sagte er, sitzt man wie auf einem Schaukelstuhl, und wenn man die Bewegungen berechnet, braucht man die Lanze nur hinzuhalten, dann findet sie schon in den Ring – auf Fabian hätten alle seine Konkurrenten gewonnen.
    Immer blieb die Familie aber nicht zusammen, von Zeit zu Zeit kamen Leute an unsern Tisch und sprachen mit dem Bürgermeister, ein paarmal holten sie ihn auch weg, und ich sah ihn dann an anderen Tischen sitzen, ein Glas in der Hand, anstoßbereit. Als die Kapelle zu spielen begann, verließen uns auch Niels und Ina; weil Niels König war, gehörte ihm der erste Tanz, der Königswalzer, wie Dorothea sagte, doch er tanzte gewiß nicht wie ein König; es lag wohl an seinen Reitstiefeln, daß er aus dem Takt kam, kleine Hüpfer machte, ständig ein bißchen hinterher war während des ganzen Tanzes, am Ende konnte ihm jeder die Erleichterung ansehen. Wie schnell er Ina wegzog, das Klatschen hatte noch nicht einmal aufgehört, da war er schon mit ihr im Gewühl beim Zelteingang verschwunden. Daß Joachim so gut tanzen konnte, hätte ich ihm nicht zugetraut, er tanzte nur mit Dorothea, zwei-, dreimal, er lächelte unentwegt und sah sie während des ganzen Tanzes an, wenn

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