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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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Gesicht suchend erhoben: Guntram Glaser. Ich wußte sofort, daß er Ausschau hielt nach uns; ja, Ina, ich wußte es, und als er uns entdeckte und auf uns zukam, da war ich weniger überrascht als beunruhigt; ich hätte gar nicht sagen können, woher die Unruhe kam, sie stieg einfach auf in mir und machte, daß ich auf ihn zeigte, ohne ein Wort zu sagen. Als der Chef ihn erkannte, winkte er ihm zu, hierher, hierher, und Guntram Glaser winkte kurz zurück und beschleunigte seine Schritte und begrüßte uns aufmerksam. Er war erst für den nächsten Tag auf die Festung bestellt. Er war zu früh angekommen. Nie hätte ich gedacht, daß er einmal Betriebsleiter werden würde bei uns, nein, Ina, das hätte ich nicht gedacht.

Was soll ich ihm sagen, wenn er zu mir kommt, er guckt schon zu mir herunter, er faßt mich wohl schon ins Auge von der Terrasse, vielleicht hat er beschlossen, mir selbst zu erklären, warum er den Schenkungsvertrag unterschrieben und hinterlegt hat, den Vertrag auf meinen Namen. Sag nicht zu schnell ja und nicht zu schnell nein: das hat mir Magda geraten, ich werde ihm gleich aufmachen und zuhören, bestimmt wird er mir alles anvertrauen, auch das Geheime, auch das, was er nur für sich denkt; sobald er sagt: Und jetzt mußt du mal weghören, Bruno, dann weiß ich schon, daß es allein für mich bestimmt ist. Er wartet wohl noch ein bißchen, macht ein paar Schritte, er sieht über die Quartiere hinweg zu den alten Kiefern am Bahndamm, wie müde er sich bewegt, wie vorsichtig, vermutlich hat er Angst, hinzufallen, wie vor kurzem in der Sandgrube, als ihn der Schwindel erfaßte und er einfach umfiel und weg war, ich bin bei ihm geblieben, bis er wieder aufstehen und sprechen konnte: Kein Wort, Bruno, hörst du, darüber sagst du zu keinem ein Wort.
    Das Gewehr, er hat sein doppelläufiges Gewehr umgehängt, vielleicht will er doch nicht zu mir kommen, aber nun geht er zur Treppe, steigt behutsam hinab, ein langer Blick zurück zur Festung, nein, es zeigt sich niemand an den Fenstern, er kommt zu mir, um mich in alles einzuweihen, jetzt kann ich schon aufschließen. Ich werde ihm nicht sagen, was ich weiß, was erzählt wird, wenn er mich nicht fragt, werde ich nicht damit herauskommen, denn es könnte ihm weh tun, und ich will nichts sagen, was ihm weh tut oder was ihn traurig macht, nichts.
    Er will doch nicht zu mir, geht nur vorbei, ohne herzusehen, abweisend, in sich gekehrt, da möchte ich ihn lieber nicht anrufen. Ihm hinterherlaufen, das werde ich, ihm heimlich folgen auf seinem Weg und dort, wo uns keiner beobachten kann, hervortreten und einfach da sein. Der Chef weiß sicher, daß ich abends auf die Festung bestellt bin, vielleicht weiß er auch schon, was sie von mir wollen, wenn er dabei ist, wird alles leichter sein, denn sobald es darauf ankommt, wird er für mich antworten, wird auch Murwitz antworten, der mir gedroht hat, daß da allerhand auf mich zukommt.
    Schnell abschließen, und dann in die hochstämmigen Quartiere hinein, wo Bruno unsichtbar wird für jeden und doch jeden anderen sehen kann, von Stämmen vergittert. Der Hakenmann versteckt sich hier nicht, früher dachte ich, daß sich der Hakenmann, der in manchen Nächten nach seinem eigenen Plan unsere Stämme knickt, in den hochstämmigen Quartieren verbirgt, aber der Chef hat mir bewiesen, daß er von weiter herkommen muß, bei unseren gemeinsamen Streifzügen fanden wir keine Spur.
    Deinetwegen, Bruno, hat Magda gesagt, sie haben das Entmündigungsverfahren auch deinetwegen angestrengt, weil der Schenkungsvertrag vorsieht, daß dir nach dem Tod des Chefs das wertvollste Land zufallen soll, ein Drittel von allem mit den dazugehörenden Einrichtungen; das können sie nicht hinnehmen, hat Magda gesagt. Falls alles stimmt, dann hat der Chef seine Gründe, er hatte immer seine Gründe, für alles, was er tat.
    Warum trinkt er nicht wie sonst aus der Freilandleitung? Er geht doch nur selten am Wasserhahn vorbei, ohne ihn zu öffnen, ein wenig ablaufen zu lassen und dann von dem Wasser zu trinken, dessen Quelle er selbst gefunden hat, und das er nicht genug loben kann für seinen Geschmack. Er schenkt dem Wasserhahn keine Beachtung, geht schlurfend Richtung Bahndamm, der Lederriemen seines Gewehrs scheint wohl zu rutschen, jetzt zieht er ihn schon wieder auf die Schulter hinauf. Es ist lange her, seit ich ihn zum letzten Mal mit dem Gewehr durch die Quartiere gehen sah, ich möchte nur mal wissen, worauf er aus ist, die Kaninchen

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