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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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Dorothea nicht so außer Atem gekommen wäre, hätte er sie wohl noch öfter aufgefordert.
    Der Schleppzug, ich weiß noch, wie aus dem Dunst, aus den Rauchschwaden der Schleppzug auftauchte, an gestreckten Armen wurde einer herangeschleppt, der sich sträubte, der sich dem Zug entgegenstemmte, er zerrte und ruckte und wollte loskommen, nicht mit letzter Kraft, aber er versuchte es. Ich sah gleich, daß sein Widerstand auch ein wenig gespielt war, denn der alte Lauritzen wäre sicher losgekommen, wenn er es mit aller Gewalt versucht hätte, deshalb war er wohl insgeheim damit einverstanden, daß Niels und Ina ihn heranschleppten an unsern Tisch. Ich denk mir, daß sie ihn vorher lange bearbeitet hatten und sich, da er nur eigensinnig und knurrig dasaß und nicht einmal zu uns herüberlinsen wollte, hinter seinem Rücken verständigten, ihn auf ein Zeichen packten und abtransportierten, zu ihrem eigenen Vergnügen. Sie brachten ihn an unseren Tisch und hielten ihn fest und flankierten ihn wie einen Gefangenen, und er, der ziemlich krumm war, straffte sich und suchte den Blick des Chefs, der sich langsam erhob und auch nur Augen hatte für sein Gegenüber, so standen sie da und taxierten einander mit einer Ausdauer, die uns alle kribbelig machte.
    Der alte Lauritzen bekam als erster die Lippen auseinander, leicht zur Frage angehoben sagte er: Zeller? Und der Chef entgegnete: Lauritzen? Und danach starrten sie sich wieder an, bis Lauritzen es nicht mehr aushielt und grummelte: Bürgermeister, was, aber nicht mein Bürgermeister, nicht meiner. Macht nichts, sagte der Chef, die einfache Mehrheit genügt mir, und mit sicherem Griff schnappte er einen leeren Stuhl vom Nebentisch, stellte ihn zwischen sich und Dorothea und forderte Lauritzen auf, sich zu setzen, und der bedachte sich und machte eine wegwerfende Geste und setzte sich. Gleich stand ein gefülltes Glas vor ihm, gleich luden Dorothea und der Chef ihn ein, mit ihnen anzustoßen, aber er mochte noch nicht, er mußte erst fragen: Das Holz aus dem Dänenwäldchen, das läßt sich doch wohl immer noch verwenden, nicht? Worauf der Chef sagte: Es läßt sich verwenden, nicht schlechter als all die Steine, die man uns nachts geschenkt hat. Danach nickten sie sich zu und kippten das nach Kümmel riechende Zeug.
    Was die vertragen konnten! Was die sich zu sagen hatten, ohne laut zu werden, jeder packte aus, was sich in ihm angesammelt hatte, das ging hin und her am Tisch, eine Bezichtigung ergab die andere, keiner blieb dem andern etwas schuldig. Früher, da ließ es sich noch leben in Hollenhusen. Wann war das, früher? Bevor ihr gekommen seid, die Landplage aus dem Osten, da war es still hier, jeder wußte, was ihm gehörte, nie hätte sich einer vergriffen an fremdem Eigentum. Dafür haben wir euch gezeigt, wie man leben kann und was sich machen läßt aus dem Land, das keiner haben wollte. Jedenfalls waren wir hier zufrieden. Ja, die alles hatten, die waren zufrieden. Bei euch zu Hause habt ihr doch nur eins gelernt – beiseiteschaffen und Mazurka tanzen. Richtig, und ihr habt euch nur mit dem ersten begnügt. Ein Kuckucksnest: mehr waren wir nicht für euch. Der Kuckuck hat kein Nest, soviel ich weiß. Ohne euch hätten wir jedenfalls ein anderes Hollenhusen. Richtig, da wäre hier noch alles wie anno Grünkohl.
    So ging das zwischen ihnen, aber gelegentlich lächelten sie versteckt, und in Pausen hoben sie die kurzen Gläser gegeneinander. Keiner von ihnen hatte etwas dagegen, daß Niels eine neue Flasche vor sie hinsetzte als Gruß vom Ringreiter-König; der alte Lauritzen selbst entkorkte sie mit seinen knotigen Fingern und schenkte ohne zu fragen ein, auch Dorothea, die nur unter der Bedingung trank, daß niemand mit ihr zu tanzen verlangte. Dat med de Danzerei, dat is doch man dumm Tüch, sagte der alte Lauritzen, und mehr sagte er nicht. Er trank uns ein letztes Mal zu und erhob sich ruckhaft und balancierte sich aus, und dann tastete er sich am Tisch entlang und ging steif davon, doch vorher neigte er sich noch einmal dem Chef zu und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Joachim mußte gleich wissen, was Lauritzen dem Chef zugeflüstert hatte, und der Chef sagte: Nichts weiter, er hat mich eingeladen.
    Das Festzelt leerte sich schon, Dorothea hatte bereits ihre drückenden Schuhe unterm Tisch wieder angezogen und forderte mich auf, meine Limonade auszutrinken, da sah und erkannte ich ihn wieder. Am Zelteingang stand er, lässig gegen einen Mast gelehnt, das schmale

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