Lenz, Siegfried
sind fort, die schwarzen Vögel hat er zuletzt geduldet, vielleicht will er nur mal sein Gewehr ausprobieren, das so lange unbenutzt war.
Umfallen kann man hier nicht zwischen den jungen Stämmen, sie stehen so dicht, daß man einfach hängenbleibt, wenn die Beine versagen oder wenn man getroffen wird, die Stämme fangen alles ab; wer hier tot umkippt, der fällt nicht auf die Erde, der wird an der Luft getrocknet.
Es kann auch sein, daß er mir danken will mit der Schenkung. An mir hat der Chef nur ganz selten etwas aussetzen müssen, keiner hat seine Anweisungen so gern ausgeführt, oft brauchte er sie gar nicht zu Ende zu sprechen, da wußte ich bereits, wie etwas gemacht werden sollte und was er zum Schluß erwartete; einmal sagte er sogar: Du kannst mir wohl alles von den Augen ablesen, Bruno. Bei ihm, der allen überlegen ist, brauchte ich niemals nachzufragen, ich ging ihm zur Hand und führte aus, was er mir aufgab – ob der tote Jagdhund im Großen Teich versenkt werden sollte, ob es galt, die Bohlen der Holzbrücke in die Holle zu werfen oder das Vieh auf fremde Weiden zu jagen, auf mich konnte er sich immer verlassen. Ich hab auch nicht gefragt, als er mich anwies, seine befleckte Jacke zu verbrennen, und die Körbe mit allerhand guten Sachen, die er den Ewaldsens schickte, hab ich so heimlich abgestellt, daß keiner erfahren hat, woher die kamen.
Und mit meiner Arbeit in den Kulturen war er nicht nur einverstanden; so manches Mal rief er unsere neuen Arbeiter und sagte zu ihnen: Seht euch an, wie Bruno es macht; so müßt ihr umtopfen, stäben, veredeln. Es kann gut sein, daß der Chef mir für alles danken will; es ist auch möglich, daß er denkt, Bruno hat genug gelernt, und wenn er das Land übernimmt, wird er alles in meinem Sinne machen, und nichts wird sich ändern, in der Bodenpflege nicht und nicht in den Pflanzplänen, Bruno wird dafür sorgen, daß für immer erkennbar bleibt, was wir hier getan haben. Auch wenn er nie mit mir darüber gesprochen hat: es ist nicht ausgeschlossen, daß er so denkt.
Zur Kiesgrube geht er, dorthin, wo wir früher den Sand geholt haben zum Vorkeimen; ohne sich ein einziges Mal umzusehen, geht er den ausgefahrenen Transportweg hinab, er achtet gewiß nicht auf die Geräusche, er, der immer alles vor mir entdeckte, verharrt überhaupt nicht, prüft und vergewissert sich nicht wie sonst, gleich ist er an der Thujahecke. Obwohl er es nie leiden konnte, wenn einer von uns sich durch die Hecke zwängte: jetzt zwängt er sich selbst hindurch, taucht weg, ich weiß schon, ich weiß schon, jetzt stolpert er hinab zu den Kiefern, vielleicht wird gleich ein Schuß fallen, nein, die Krähen sind noch nicht nach Hause gekommen.
Da sitzt er, auf dem Platz, auf dem wir beide gesessen haben viele Male, in den frühen Jahren, als es mehr zu tun gab als jetzt und wir dennoch Zeit übrig hatten, um zu erzählen und auf die Heimkehr der Krähen zu warten; oft saßen wir noch im Dunkeln, nur die Schienen glänzten unter uns. Ich darf ihn nicht erschrecken. Er hat das Gewehr auf die Erde gelegt. Er starrt nur in eine einzige Richtung, zum Kollerhof, der wohl immer noch unbewohnt ist. Sein gekrümmter Rücken. Die Hände im Schoß. Er hat mich nicht berufen, als ich die Nadeln aus den Fichten riß und sie aussaugte. Ich muß zu ihm, langsam, wie zufällig da sein und neben ihn treten, weil er es noch nie mochte, wenn man hinter ihm stand, ihn von hinten ansprach.
Na, Bruno, was machst du denn hier? fragt er. Kein Blick, kaum eine Bewegung, allein an meinen Schuhen hat er mich erkannt, aus den Augenwinkeln. Komm, setz dich zu mir, sagt er, und beklopft leicht die Erde, setz dich hierher. Es ist keine Erregung in seiner Stimme, er spricht wie früher. Ruhe liegt auf seinem Gesicht und ein klein wenig Verwunderung. Was gesagt werden muß, darauf wird er bestimmt von selbst kommen, er hat das Wichtigste noch nie vergessen.
Weißt du, was das ist, Bruno, hier, in meiner Hand? Beeren, sage ich, und er: Die Mistelbeere, hinter der sie alle her sind, Vögel, Marder und sogar Fledermäuse, alle mögen die Mistelbeere, denn nichts schmeckt besser als ihr Fruchtfleisch. Er kippt mir zwei Beeren in die Hand, ich möchte am liebsten eine probieren, ritze sie aber zuerst mit dem Fingernagel, wie klebrig das ist, macht nichts, das geht schon den Hals runter, eine Mistelbeere habe ich noch nie gegessen. Bruno, Bruno, sagt der Chef und schüttelt den Kopf, hoffentlich verklebt dir das Zeug nicht
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