Lenz, Siegfried
stehen und der Lieferwagen von Heiner Walendys Stiefvater, aus einigen Fenstern winken sie zurück zum Bahnhof, oft haben sie mir hier schon zugewinkt, obwohl sie mich nicht kannten. Im letzten Waggon möchte ich nicht sitzen, der ruckelt, als möchte er aus den Schienen springen. Doktor Murwitz will dich noch einmal sprechen, sagt Max, er sagt es gegen den Rücken des Chefs, nicht bittend oder verlegen, sondern kühl und dringlich. Ruhig wendet sich der Chef um und hebt sein Gesicht und sieht Max an mit einem einzigen Blick der Verwunderung, seine Lippen verziehen sich, seine Schultern bewegen sich, und nun drückt er sich vom Boden ab und übersieht die Hand, die ihm aufhelfen will. Denk an die Mistelbeere, Bruno, die Drossel kackt sich ihr eigenes Unglück – mehr sagt er nicht und geht mit umgehängtem Gewehr zur Thujahecke, unbekümmert darum, in welchem Abstand Max ihm folgt, Max, der mir nur sagt: Bis dann.
Die Eicheln müssen weg, ich darf sie nicht bei mir tragen, mit den silbernen Eicheln würde ich nur auffallen; dort in der Sandgrube habe ich schon die Patronenhülsen und die Granatsplitter vergraben, unter den freihängenden Kiefernwurzeln. Zuerst aber müssen sie weiter fort sein, der Chef und Max, jetzt muß ich doppelt aufpassen, wer weiß, ob nicht einer aus der Festung mich im Auge hat bei allem, was ich tue, vielleicht beobachtet mich auch einer in ihrem Auftrag, hinter der Hecke könnte er liegen, hinter den Kiefern.
Wie viele Farbtöne der Sand hat, hier ganz braun wie Rost und dort von der Sonne gebleicht; wo die Sonne hinkommt, wird der Sand leichter und feiner, manchmal habe ich hier früher zum Spaß Ameisen und Käfer unter kleinen Sandhügeln begraben, sie krabbelten noch jedesmal hervor. Kein Spaten, ich muß mit den Händen graben wie so oft, ich werde die Eicheln in eine der Dosen legen, zu den Splittern und Patronenhülsen, hier muß es doch sein, unter den freihängenden Wurzeln, ich hab’s mir genau gemerkt. Tiefer können sie nicht liegen. Wann kommen die Dinge endlich, die beiden Dosen, auf Wanderschaft gehen die doch nicht mit ihrem Gewicht, und von dieser Seite haben wir niemals Sand geholt in den Jahren. Einer hat sie ausgegraben und mitgenommen, aber wer nur, auflösen können sie sich nicht, einer muß immer hinter mir her sein, auch im Dunkeln, vermutlich setzt er sich auf meine Spur, sobald ich nach draußen gehe, und begleitet mich überallhin, um alles über mich herauszubekommen und Beweise zu sammeln.
Sie wollen Beweise gegen mich sammeln, das ist es. Ganz ruhig, Bruno, ich muß die Grube wieder zuschütten, nicht eilig, sondern so, als hätte ich hier nur ein bißchen zum Spaß gegraben, wenn ich einen Zweig nehme, mit ihm über den Sand fahre, etwas peitsche, dann ist kaum noch zu erkennen, wo ich gegraben habe. Die Eicheln muß ich bei mir verstecken, am besten in der Uhr, im Marmorgehäuse ist Platz für die silbernen Eicheln, in der Erde darf ich nichts mehr vergraben.
Weg hier, ich darf nicht stehenbleiben. Ich muß langsamer gehen, mir kann keiner verbieten, mitten auf dem Weg zu gehen und ein wenig Wasser zu trinken, so wie es der Chef getan hat, das kann mir auch keiner verbieten; ein besseres Wasser als bei uns kann man nicht finden. Nicht einmal Joachim hat mir etwas zu sagen, denn es ist schon nach Feierabend, und ich habe ein Recht, hier herumzustreifen und zu tun, was ich für erforderlich halte; aber Joachim ist wohl der letzte, der mir über den Weg laufen könnte, er ist bestimmt unabkömmlich in der Festung, wo sie jetzt alle dem Chef gegenübersitzen. Ich werde die Schwunghippe einstecken, von nun an werde ich sie immer bei mir haben.
An meinem Schloß ist niemand dran gewesen. Alles ist an seinem Platz, auch das Kopfkissen hat keiner berührt. In der Uhr sind die Eicheln sicher, sicherer noch als unter der Matratze, aus diesem Versteck ist mir schon so manches abhanden gekommen, das Tagebuch, das Dorothea mir schenkte, die Salbendose, die ich der Zigeunerin abgekauft habe – als ich sie einmal hervorholen wollte, da waren sie verschwunden.
Eisen, wie lange der Nachgeschmack im Mund bleibt, unser Wasser aus der Freilandleitung schmeckt nach Eisen, und das ist gut, hat der Chef immer gesagt.
Das Wasser aus dem Brunnen, der nach seinen Angaben gebaut wurde, schmeckte bereits nach Eisen, doch noch eisenhaltiger war das Wasser, das Guntram Glaser heraufpumpen ließ für seine Beregnungsanlage, damals, in dem heißesten Sommer hier, als alles
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