Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
Vom Netzwerk:
Panzerleib und Bremsen schwirrten über das sumpfige Stück, das der Chef immer noch nicht trockengelegt hatte, obwohl der alte Lauritzen keinen Anspruch mehr darauf erhob.
    Als Guntram Glaser meinen Schatten erkannte, hob er sein Gesicht und lächelte und sagte: Ich weiß nicht, Bruno, ob wir es drainieren sollen, ich weiß es nicht. Rasch zog er mich weg vom feuchten Land, ich merkte, daß er nicht mit mir dort stehen wollte, wir gingen zum Findling, wo er sich nervös die letzte Zigarette ansteckte und den Rauch mit langem Zischgeräusch ausstieß. Das leere Päckchen zerknüllte er in der Hand und begrub es. Ich fragte ihn, ob ich ihm neue Zigaretten aus Hollenhusen holen sollte, darauf sagte er: Das wird schwierig sein, denn heute ist Sonntag, aber ich sagte: Ich weiß, wo es immer welche gibt, und ließ mir das Geld geben und lief los zum Wartesaal im Bahnhof, und ich war viel früher zurück, als er es erwartet hatte. Du bist ein Helfer in der Not, Bruno, sagte er, als ich ihm die Zigaretten brachte. Er hat dann noch zwei oder drei geraucht, wir standen an den Findling gelehnt und blickten über die matten Spaliere, die Unruhe, die anfangs wie von selbst kam, wenn ich ihm begegnete, setzte mir nicht mehr zu, und so fragte ich ihn, ob es eine schöne Zeit gewesen sei, seine Soldatenzeit auf diesem Land, und er mußte etwas nachdenken, ehe er sagte: Je weiter etwas zurückliegt, Bruno, desto fester klebt es an uns. Er brauche nur die Augen zu schließen, dann seien die Kulturen und Quartiere wie weggewischt, die Häuserattrappen seien wieder da und der Übungspanzer und die Kuschelfichten, aus denen fast jeder Angriff vorgetragen wurde, und es könne noch so still sein in der Luft, nach einem Weilchen höre er, ob er wolle oder nicht, die Kommandos, das Sturmgeschrei und das Prasseln der Schüsse. Den Exerzierplatz, den könne er einfach nicht loswerden.
    Und dann rief Ina von der Mauer herüber, und wir gingen zu ihr und fanden sie fröhlich und verschwitzt und mit ein paar Insektenstichen im Gesicht und an den Beinen. Ina hatte eine kleine Stechschaufel in der Hand, und in ihrer aus Bast geflochtenen Tragetasche lagen Gräser, Seggen und Kräuter, gepflückt oder mitsamt den Wurzeln und ein wenig Erde ausgestochen. Und sie ließ uns bestimmen, was sie am Großen Teich und am Dänenwäldchen und auf den Feldern und am Ufer der Holle gesammelt hatte, und dabei saß sie vor uns und hatte nur eine dünne Bluse an und sehr kurze Hosen, die ganz verschmiert waren vom vielen Händeabwischen. Und ich konnte beinahe ebensoviele Pflanzen bestimmen wie Guntram Glaser: Acker-Kamille und Windhahn und Froschbiß, Wollgras und Gänsedistel und Quecke und Hederich, auch Franzosenkraut und Löwenzahn waren dabei. Ina wollte sie alle zeichnen, und die Zeichnungen zusammen sollten ein Lob des Unkrauts werden.
    Ina wollte uns beweisen, wie schön Unkraut ist, und sie lobte die spießförmigen, die gelappten und gefiederten Blätter, auch die gesägten lobte sie und die verschiedenen Rispen und Dolden, und Guntram Glaser hörte sich alles lächelnd an und sagte dann: Man hört es nicht gern, das Lob seiner Feinde. Und Ina sagte uns voraus, daß wir unsere Meinung schon mal ändern würden, wenn wir erst ihre farbigen Blätter zu sehen bekämen, denn alles bei ihr würde in Gesichtern aufgehen, und jedes Unkrautgesicht würde für sich sprechen. Und Guntram Glaser sagte, daß es leider auch in Pflanzengesellschaften Schädlinge gäbe, die das Wachstum von anderen beeinträchtigten und den gewünschten Ertrag und die Qualität, deshalb bleibe einem nichts anderes übrig, als die kurz zu halten, die andere bedrohen. Sie stritten sich ein bißchen, aber es machte ihnen Freude, sich zu streiten, und ich hätte ihnen wer weiß wie lange dabei zuhören können.
    Und dann sagte Guntram Glaser, daß er am wenigsten den Ackerfuchsschwanz leiden könnte, und sofort schaute Ina nach, ob der in der Tragetasche lag, aber er war nicht drin, der Ackerfuchsschwanz fehlte ihr in ihrer Sammlung, und sie entbehrte ihn so sehr, daß sie erwog, auf die Suche zu gehn. Guntram Glaser sagte, daß es wohl nicht leicht sei, dies gemeine Kraut zu finden, man habe es glücklicherweise zurückdrängen können, da sah Ina mich fragend an, Ina, der plötzlich am Ackerfuchsschwanz mehr zu liegen schien als an allem anderen, und ich merkte schon, woran sie dachte, und sagte von mir aus: Dann zieh ich mal los, ich weiß schon, wo ich ihn finden kann. Und Ina dankte

Weitere Kostenlose Bücher