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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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Fuhre, die Ladefläche unseres Transporters war gerade groß genug, um später alles auf einer Fahrt in die Festung zu schaffen.
    Daß ich beim Hochzeitsessen am Kopfende sitzen durfte, hatte ich bestimmt Ina zu verdanken, ich saß mit dem Rücken zum Saal, an der Ecke, dort, wo zwei Tischbeine sich beinahe berührten, ich hatte Ina und Guntram Glaser gut im Blick, und wenn ich mich vorbeugte, konnte ich auch all die anderen sehen, und wenn es im Saal nicht allzu laut war, bekam ich fast alles mit, was gesagt wurde. Guntram Glasers Mutter, die saß still und schläfrig neben dem Chef, der Onkel aber, über den allerhand Geschichten erzählt wurden, saß mir schräg gegenüber, ein mächtiger, fleischiger Mann, der unentwegt zupfen und fummeln und den Leuten zuplinkern mußte, auch mir plinkerte er ein paarmal zu, gerade als ob wir uns für etwas verschworen hätten. Einen Flieger hab ich mir ganz anders vorgestellt, doch wie Guntram Glaser uns erzählte, war sein Onkel schon im Krieg Flieger gewesen, und da er einfach nicht davon loskam, hatte er eine Maschinenhalle so vergrößert, daß sein alter Doppeldecker darin Platz fand, ein klappriger Zweisitzer, mit dem er meist an Sonntagen aufstieg und wer weiß wie oft schon als verschollen galt. Dorothea, die neben ihm saß, winkte gleich vergnügt erschrocken ab, als er sie für den nächsten Tag zu einem Rundflug einlud, sie wollte weder das Wattenmeer noch unsere Quartiere von oben sehen, nein, das wollte sie nicht. Die einzige, die sich bereit fand, mit dem Onkel aufzusteigen, war Ina, doch Guntram Glaser wollte es nicht, er legte einen Arm um seine Frau, er zog sie fest an sich und sagte zu seinem Onkel: Das könnte dir so passen, mit Ina auf einer Sandbank notlanden, und er sagte auch: Solange ich etwas zu melden hab, wird sie nicht in deinen Leukoplastbomber steigen.
    Zuerst gab es Melone mit Schinken, süße Melone mit dünn geschnittenem Räucherschinken, alles war so zart, daß man es kaum zu kauen brauchte; obwohl ich nicht als erster fertig sein wollte, war ich doch als erster fertig – seltsam beäugt von Guntrams Onkel, der mich wohl eine ganze Zeit beobachtet hatte. Er lachte, er schüttelte den Kopf, und dann fragte er mich, ob ich noch nie gehört hätte, daß Fruchtkerne im Bauch Wurzeln schlagen könnten. Dann gab es eine Brühe mit Mark und Fleischklößchen, eine kräftige, schillernde Brühe, die ihre Wärme bis zum Schluß bewahrte, und während wir löffelten, wurde Wein eingeschenkt – wer keinen Wein wollte, der bekam Selterswasser –, jeder mußte etwas in seinem Glas haben zum Anstoßen oder wenigstens zum Angucken bei der leisen, stockenden Rede des Chefs.
    Ich hab nicht alles verstanden, es ging um Abschiede, um die vielen kleinen Abschiede, die zum Leben gehören, jeder, sagte der Chef, verabschiedet sich auch mehrmals von sich selbst. Und einmal kommt auch der Augenblick, sagte der Chef, wo wir von denen Abschied nehmen müssen, die uns lange sehr nahe waren, die zu uns gehörten und alles mit uns teilten, einmal treiben sie fort in eine andere Richtung, und das ist gut so, denn jeder soll das Recht haben, seine eigenen Erfahrungen zu machen. Und an Ina und Guntram Glaser gewandt, sagte er auch: Wenn zwei sich so einig sind, so entschlossen, können sie ruhig davon ausgehen, daß mit ihnen etwas Neues beginnt, sie können ruhig darauf bestehen, alles selbst auszuprobieren und fremde Erfahrungen links liegen zu lassen, diesen ungemütlichen Besitz. Das wichtigste ist nur, daß ihr unter einer Decke steckt. Zum Schluß sagte er: Ob ihr’s glaubt oder nicht, aber wer gegen die Welt konspirieren muß – und jeder muß es mitunter auf seine Art –, der tut es am erfolgreichsten zu zweit; und damit hob er sein Glas, und wir alle standen auf und tranken Ina und Guntram Glaser zu. Der Beifall danach wollte nicht aufhören, und wir klatschten rhythmisch, als Ina dem Chef beide Hände um den Hals legte und sich so heftig an ihn drängte, daß sein Stand unsicher wurde und er sich an der Stuhllehne festhalten mußte. Guntram Glaser dankte mit einem Handschlag.
    Der Onkel musterte mich mit Wohlwollen, das spürte ich, ohne seinen Blick aufzunehmen, er beobachtete mich, und auf einmal fragte er mich, ob ich nicht auch die Absicht hätte, zu heiraten, und ich sagte: Ich weiß nicht. Da fragte er weiter, ob ich mich schon einmal umgesehen hätte in Hollenhusen, und ich sagte: Noch nicht. Wie bedenklich er mich darauf ansah, nicht anders, als

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