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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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hätte ich vorsorglich das Beste ausgelassen, das es gibt, doch dann schmunzelte er und nickte zu Ina hinüber und sagte: Wenn man lange genug wartet – fast jedes Mädchen hat eine Doppelgängerin –, wenn man nur lange genug wartet. Ach Ina, nachdem er das gesagt hatte, wagte ich es gar nicht mehr, zu dir hinzugucken.
    Das Mißgeschick, ausgerechnet mir mußte das Mißgeschick passieren; ich sehe noch durch den Schmerz Joachims spöttisches Gesicht, sein Achselzucken, mit dem er doch nur darauf hindeuten wollte, daß man bei mir eben auf alles gefaßt sein müsse, bei jeder Gelegenheit, selbst an einem Hochzeitstag.
    Fasan auf Weinkraut gab es als Hauptgang, der Flieger achtete darauf, daß die Schüssel mit Kartoffelpüree, daß die Terrine mit Sauce bis zu mir hinwanderten, er ahnte vielleicht meinen ewigen Hunger, denn er forderte mich auf, gleich man ordentlich zu nehmen, für alle Fälle. Es war der erste Fasan, den ich zu essen bekam, tief schnitt ich in das trockene Brustfleisch hinein, tunkte die Fasern in die Sauce, spießte einen Ananaswürfel auf und mußte die Augen schließen bei diesem Wohlgeschmack. Und das Weinkraut! Wer das dazu erfunden hat! Da der Onkel das Brustbein beknabberte, nahm ich auch meines in die Hand, drehte wie er den Schenkel ab, löste wie er das Fleisch von den blassen Sehnensträngen, nur Schrotkugeln, die konnte ich nicht wie er auf dem Tellerrand sammeln, denn mir geriet keine zwischen die Zähne, vermutlich habe ich sie alle heruntergeschluckt.
    Keiner hat mich vor den Röhrenknochen des Fasans gewarnt, ich wußte nicht einmal, daß Fasanen solche Knochen haben, die leicht brechen und nadelspitz sind, so spitz, daß man zuerst, wenn sie im Hals steckenbleiben, nur einen feinen Stich spürt, einen ganz dünnen Schmerz, bei dem man sich nicht gleich das Schlimmste denkt. Ich zuckte nur zusammen, als der gesplitterte Knochen sich mit der Spitze in meinen Hals einbohrte, fühlte anfangs lediglich, daß da ein Widerstand war beim Schlucken; ich dachte, daß sich das geben wird bei weiterem kräftigem Schlucken, einfach hinabfahren mit Weinkraut und Ananaswürfeln, aber soviel ich auch unzerkaut nachschluckte, der Splitter löste sich nicht, er blieb stecken. Dann weitete sich der Schmerz aus, klopfte und ging in Wellen durch meinen Kopf, und dort, wo das Knöchlein steckte, fing es an zu brennen, es war eine Siedehitze, die mir das Wasser in die Augen trieb, es half nichts, daß ich sie mit einem Glas Selterwasser zu löschen versuchte. Der Hals schwoll zu, das Pochen wurde immer heftiger, ich würgte, riß wohl unwillkürlich am Tischtuch, wobei mein Glas umkippte, wollte etwas sagen und konnte es nicht, da merkte der Flieger, daß mir etwas zugestoßen war, und ahnte auch gleich, wovon alles ausging.
    Nichts half, das trockene Brot nicht, nach dem er schickte, Beklopfen nicht, und auch nicht ein großes Glas Selterswasser, mein Hals war zu, ich zog und pumpte und hörte eine Frauenstimme sagen: Er verfärbt sich schon, der junge Mann; und ganz verschliert sah ich Ina, die aufgesprungen war und besorgt zu mir herguckte, und ich sah auch, wie der Chef aufstand und an der langen Tafel entlangging zur Saalmitte. Er und Doktor Ottlinger brachten mich hinaus, von Max bekam ich einen wohlmeinenden Knuff, Joachim begleitete mich mit seinem spöttischen Lächeln, und dann lag ich in dem breiten Sessel, meine Hände umschlossen die Armstützen, mein Kopf ruhte auf der Rücklehne, und über mir war nur das Gesicht von Doktor Ottlinger. Kein Wort, er sagte kein Wort; wenn er wollte, daß ich meinen Mund noch mehr öffnete, zwängte er ihn einfach mit den Fingern auseinander; wie er den Knochensplitter aus meinem Hals holte, weiß ich immer noch nicht; aber ich weiß, daß ich den Brechreiz unterdrückte und den Ausguß im Büro des »Deutschen Hauses« nicht vollzukotzen brauchte.
    Ach Ina, am liebsten wäre ich davongeschlichen, zum Bootsskelett oder zu meinem Schuppen, ich wollte mich nicht mehr blicken lassen auf deiner Hochzeit, und als ich lange allein saß im Büro, da hoffte ich, daß ihr mich vergessen hättet, aber auf einmal wischte mir einer über den Kopf, und das war der Chef. Er sagte nicht viel, er sagte nur, daß drei Portionen Fruchteis auf mich warteten, und zwar garantiert ohne Knöchlein, und damit zog er mich schon hoch und führte mich zurück zu euch, nicht auf meinen alten Platz, sondern auf einen Stuhl neben Max, der immer nur Rotwein trank und schwitzte und mit

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