Lenz, Siegfried
wenigsten gerechnet, doch unerwartet tauchte er vor der kleinen verschmierten Scheibe auf, spähte herein und kam zu mir; rauchend hob er sich auf die wacklige Arbeitsbank, ließ die Beine baumeln, guckte zu und wollte nicht aufhören, mir anerkennend zuzunicken. Er wußte und konnte fast soviel wie der Chef, aber eine Girlande flechten, das konnte er nicht. Noch nie, sagte er, hätte er so eine schöne Girlande gesehen, sie sei festlich und fröhlich zugleich, er freue sich schon darauf, mit Ina da hindurchzugehen, und wenn es so weit sei, dann müßte der Photograph ein Bild von uns dreien aufnehmen.
Und dann fragte er plötzlich, warum ich ihm immer so lange mit den Blicken folge, ihm nachgucke, als käme ich gar nicht von ihm los, er sagte: Vielleicht merkst du es gar nicht, Bruno, aber mitunter muß ich denken, daß du mich beobachtest oder daß du wer weiß was im Sinn hast; wenn was ist, mußt du es mir sagen. Nein, sagte ich nur, nein, nein, und damit war er im Augenblick zufrieden und lächelte und deutete an, wieviel Gutes er bereits über mich gehört hätte, über meine Arbeit in den Quartieren, über mein Gedächtnis und meine grüne Hand; das tat er. Und er wünschte sich, später einmal noch enger mit mir zusammenzuarbeiten, ihm schwebte eine Anzucht von Halb- und Viertelstämmen beim Kernobst vor, dabei sollte ich ihm zunächst helfen, doch erst einmal sollten wir uns die Hand geben auf ein gutes Auskommen miteinander. Bevor er mich verließ, nahm er ein Stück der Girlande in die Hand, ich sah, daß er glücklich war, und er lobte mich abermals und versprach, daß diese Girlande nicht auf dem Kompost landen wird.
Was alles ich in die Girlande hineingeflochten habe, das habe ich für mich behalten, nicht einmal Ina selbst hat es erfahren, wie viele Wünsche im Tannengrün verborgen waren: daß sie nie Angst zu haben braucht, hab ich ihr gewünscht, und daß sie immer einen kleinen Grund zur Freude findet; ich hab Rosenblätter, die eine samtene Schwärze zeigten, mit dem Feuer der Zinnien umgeben, nur, damit Ina keine schlimmen Enttäuschungen erlebt, und blauweiße Schleifen und Teerosen sollten verhindern, daß sie krank wird. Viele Wünsche hab ich in die Girlande hineingeflochten, auch, daß Ina alles wiederfindet, was sie verlegt hat, auch, daß sie manchmal an mich denkt. Die Girlande war nicht mein einziges Geschenk; weil ich ahnte, worüber Ina sich freuen würde, habe ich ein Kästchen mit farbiger Ölkreide gekauft, das stand für sich auf dem langen Gabentisch, doch weil ich vergessen hatte, eine Karte mit meinem Namen dranzuheften, hat Ina nicht gleich gewußt, wer ihr das Kästchen geschenkt hatte. Ihre Begeisterung. Ihr Bedürfnis, die Kreiden ganz schnell auszuprobieren.
Nicht Ina, Dorothea gab mir die Aufsicht über den Gabentisch, ich hatte die dunkle Jacke an, die der Chef nur wenige Male getragen hatte, ich stand ein paar Schritte hinter dem Hochzeitspaar und sah zu, wie die Gäste sich heranschoben, locker, hochgestimmt, um ihre Glückwünsche loszuwerden und Geschenke zu überreichen, das war ein Gratulieren und Umarmen und Zwinkern, und die Knallküsse, die Ina bekam, konnte ich schon gar nicht mehr zählen. Jedes Geschenk wurde an Bruno weitergegeben, und ich wog es in den Händen, wog es und versuchte zu erraten, was in Kartons unter Schmuckpapier verborgen war, viele Gläser und Gluckerflaschen erriet ich, Terrinen und Bestecke noch und noch, ein Satz Blumentöpfe, ein Sortiment Bürsten, Nußknacker und ein Grammophon, und immer wieder Weiches, Leichtes: Wollsachen. Das türmte sich ganz schön. Das wollte behutsam gestapelt werden.
Wenn Joachim sein Geschenk angeschleppt hätte – diese blaue Schaukelbank –, dann wäre ich mit dem Platz nicht ausgekommen, aber er hatte sie bereits in der Festung überreicht, ebenso wie Max sein Geschenk in der Festung übergeben hatte, einen seidig glänzenden Wandteppich mit Jagdbildern. Der weiße Hirsch. Die springende, bellende Meute. Die kindlichen Gesichter der Reiter. Pastor Plumbeck, der lieferte das handlichste Geschenk ab, ein Neues Testament in schwarzem Leder, die schwerste Gabe brachte der alte Lauritzen mit, er übergab sie ausdrücklich auch im Namen von Niels, der selbst nicht kommen konnte: das feinste Eckschränkchen, das sich denken läßt. Während ich das Schränkchen übernahm und vorsichtig absetzte, blickte er über den Gabentisch, lächelte und sagte: Een Fuhr hest allsbald tosammen, wat? Es war auch eine
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