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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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hinauskommen wolle, oft bat er ihn sogar darum, doch Max hatte immer dringende Arbeiten vor, Max bedauerte und blieb vor seiner selbstgemachten Schreibplatte sitzen, die er aufs Fensterbrett legte und mit einer Latte abstützte. Ich weiß nicht, warum er Joachim niemals bat, ihn zu begleiten, denn man konnte ihm anmerken, daß er den Wunsch hatte, begleitet zu werden; zuviel hatte sich in ihm angesammelt, aber vielleicht versprach er sich nichts von Joachims Begleitung, weil der so zart war und so stockbeinig wie ein Fohlen. So ging er zuerst allein, ohne zu wissen, daß ich ihm mitunter folgte und ihn im Auge behielt, so lange, bis er mich einmal im Haselgebüsch ertappte. Als er mich an den Beinen aus dem Haselgebüsch zog, hatte ich Angst, daß er mich schlagen würde, aber der Chef hat mich niemals geschlagen, in all den Jahren nicht; und damals lachte er nur triumphierend und sagte: Siehst du, Bruno, man muß auch nach hinten sichern. Und am nächsten Morgen war ich es, den er vor allen aufforderte, ihn zu begleiten.
    Ich war glücklich, ich trug gern den Stoffbeutel mit den Blechdosen, und ich hätte auch den Hammer und das Eisenrohr getragen, wenn er es nur zugelassen hätte. Mit ihm, da gab es überall etwas zu sehen; er zeigte mir seltene Vögel und eine Blindschleiche, einmal sogar zwei spielende Dachse; er brauchte nur plötzlich auf eine gewisse Art stehenzubleiben, dann wußte ich schon, daß es etwas zu sehen gab. Ich wunderte mich zuletzt nicht mehr, daß er alles mit Namen kannte und überall etwas herauslas, aus der Farbe der Gräser, aus der Farbe der Erde. Er schlug das Eisenrohr einen Meter tief in den Boden, lockerte es, hob es sachte heraus mit den verschiedenen Erdschichten, die es barg; ich drückte sie vorsichtig mit einem Stöckchen in seine Hand, er rieb die kleinen Proben, knetete sie, füllte sie auf die Blechschachteln ab und konnte zu jeder etwas sagen.
    Einmal wollte er, daß ich es ihm nachmachte, ich mußte die Augen schließen, und er legte mir allerlei Erdproben in die Hand, klebrige, körnige, stumpfe, rauhe und fettige, aber es gelang mir nicht, den Boden zu bestimmen, zu dem sie gehörten, nur den sandigen Boden, den erriet ich. Am meisten freute er sich über die Streifen grauschwarzer Erde, er sagte, wenn er ein Baum wäre und sich einen Platz zum Wachsen aussuchen dürfte, dann würde er nicht auf gelber oder brauner, sondern auf grauschwarzer Erde stehen wollen, denn hier ist der Boden am besten durchlüftet und das Wasser kann bei Trockenheit leichter aufsteigen, und bei langem Regen kann das Überschußwasser rascher versickern.
    Wir untersuchten den ganzen Exerzierplatz, schlugen das Eisenrohr in den Boden, wo früher Verteidigungsnester gewesen waren, nahmen Erdproben in der Senke, wo die Soldaten sich vielleicht zum Überraschungsangriff gesammelt hatten, und was er zusätzlich wissen wollte, das ließ sich der Chef von den Pflanzengesellschaften sagen, von der Golddistel, vom Knäuelgras und, wo es zum Flüßchen Holle hinabging, vom Moor-Labkraut. Und eines Tages – wir saßen im Schatten des eingesackten Übungspanzers und aßen unser Brot – sagte er zu mir: Wir werden etwas machen aus diesem Land, auch die Gutachten sprechen dafür; ja, Bruno, wir werden etwas machen aus dem Soldatenland. Er dachte noch ein wenig nach, dann sind wir sehr schnell nach Hause gegangen und haben unterwegs nicht mehr gesprochen.
    Jetzt tue ich einfach so, als sähe ich Mirko nicht auf seinem neuen Stallmiststreuer, er pfeift schon, doch ich werde es nicht gehört haben. Er will mir ja doch nur zeigen, wie wendig seine Maschine ist zwischen den Quartieren, und wie leicht er sie beherrscht, und damit will er mich nur daran erinnern, daß ich keine Maschine bedienen darf, seinen Miststreuer nicht und nicht die Rodemaschine. Aus seiner Flasche werde ich nie mehr trinken, weil man danach immer hinfällt, aber ich werde mich gleich neben ihn setzen, wenn er von seinem Dorf erzählt, von den Bergen und den Tänzen und dem Piff-Paff der Jäger in den herbstlichen Wäldern. Vielleicht geht Magda nur so oft zu ihm, weil auch sie ihm gern zuhört, wenn er von seinem Dorf erzählt. Dort bei den Schmucktannen habe ich die Münzen vergraben und die Knöpfe und Kokarden, ich muß eine Liste mit allen Verstecken anlegen, eine Liste und eine Skizze, die ich ins Futter der Jacke einnähen werde, wie ich es mit dem anderen getan habe, mit der Patronenhülse. Wenn ich sterbe und die Verstecke nicht

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