Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
Vom Netzwerk:
verschaffen wollte, sich im Haus von Frau Holgermissen ein wenig selbst zu bedienen, wenn es anders gewesen wäre, hätte er sich mit dem fehlenden Betrag begnügt und im übrigen darauf verzichtet, einige wertvolle Sachen mitgehen zu lassen. Kennen wir doch, sagte Max, wissen wir doch. Ich merkte, daß es Heiner Walendy mulmig wurde und er am liebsten fortgegangen wäre, einmal spielte er darauf an, als er sagte: Schade, daß es noch nicht dunkler ist; da konnte Max nur lachen, er lachte auf und fragte, ob ein gutes Gewissen vielleicht von Tageszeiten abhängig sei. Hören Sie, Freundchen, sagte Max, ich kenn Sie besser, als Ihnen angenehm ist, und wenn ich Ihnen einen Ratschlag geben darf: Verschwinden Sie, gehen Sie freiwillig dorthin zurück, woher Sie gekommen sind. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, denn die Gründe für das, was Sie getan haben, überzeugen nicht, Sie haben sich Ihre Gründe hinterher zurechtgelegt, und das ist scheinheilig, damit kommen Sie nicht an.
    Welchen Beistand konnte ich Heiner Walendy geben? Er erhoffte, erwartete etwas von mir, dringlicher hat er mich selten angesehen, aber mir fiel nichts ein, was ihm hätte helfen können, jetzt, wo er nur noch kleinlaut und mit abfallenden Schultern dasaß.
    Auf einen Wink folgte ich Max nach draußen, abschließen durfte ich nicht, wir gingen zum Essen in die Festung, ich zu Magda, er zu den andern; daß Heiner Walendy in unserer Abwesenheit verschwinden könnte, hielt er für ausgeschlossen. Der bleibt, Bruno, der wird nur einmal die Tür öffnen, hinaussehen und bleiben – und das nicht wegen des Gewitters. Am Himmel wurde allerhand verschoben und zurechtgebaut, von Nordwest zog es schwarz und prall herauf – noch ging es nicht los, noch war der Aufzug nicht beendet, hinter Hollenhusen verharrten erst einmal die Korvetten und Schaluppen, wie so manches Mal.
    Mein Abendbrot stand bereits auf dem Tisch, die Küchenklappe war geschlossen – ein Zeichen dafür, daß Magda woanders gebraucht wurde –, deshalb konnte ich so schnell essen, wie ich wollte, und während ich aß, dachte ich nur an Heiner Walendy und daran, wie er geduckt worden war. Obwohl ich damit rechnete, daß er in unserer Abwesenheit verschwinden würde, wickelte ich ein Wurstbrot ein für alle Fälle, er tat mir noch mehr leid als damals, als er mit dem Lieferauto seines Stiefvaters verunglückte und alle Fische ins Rapsfeld flogen.
    Heiner Walendy war nicht fort, regungslos saß er auf meinem Bett und wandte nicht einmal den Kopf, als ich hereinkam, aber das Brot, das ich ihm hinhielt, das nahm er und vertilgte es ohne ein Wort. Dann verlangte er den Schlüssel, und ich durchschaute gleich seinen Plan und sagte nein. Dann bat er mich, abzuschließen, doch ich tat es nicht. Weil ich fühlte, daß er sich vor Max fürchtete, versuchte ich ihm die Furcht zu nehmen, indem ich ihm einiges von dem erzählte, was ich mit Max erlebt hatte in den Jahren – das half nicht viel. Als er sich schnell erhob einmal und die Tür aufriß, dachte ich, daß er hinausstürzen würde, aber er starrte nur in den Regen und schloß die Tür beim Reißen eines ganzen Blitzgefechts.
    Max kam in einem Regenmantel, er hatte einen Zellophanbeutel bei sich, den warf er Heiner Walendy so überraschend zu, daß der ihn auffangen mußte. Äpfel erkannte ich und zwei, drei kleine Päckchen, bestimmt war in einem etwas Gebratenes drin. Das ist für den Weg, sagte Max kurz, und er sagte auch noch: Es macht einen guten Eindruck, wenn man freiwillig zurückkehrt. Warum er solange und so eindringlich auf Heiner Walendy herabsah, das weiß ich nicht, aber ich weiß, daß er sich unverhofft aufrichtete, geradeso, als habe er eine beruhigende Gewißheit erhalten, danach wartete er noch einige Blitze ab, grüßte uns leicht und ging. Blop, blop, so tropfte es von der Decke, ich brachte Gefäße unter die Leckstellen, alle Gefäße, die ich finden konnte. Gesprochen wurde nicht mehr bei uns, nachdem ich abgeschlossen hatte, hockte sich Heiner Walendy in eine Ecke, den Zellophanbeutel neben sich, er verzichtete auf mein Bett, das ich ihm zuletzt überlassen hatte, und als ich am nächsten Morgen erwachte, da war er schon weg.
    Ich möchte nicht wissen, wie viele Max schon überredet hat, er kann das wie kein anderer, fragt zuerst und hört zu und macht einen glauben, daß er selbst nur darauf aus ist, verstehen zu lernen, man kann ihm zusehen, wie er nachdenkt – daß er das Gemeinte im voraus weiß und noch viel

Weitere Kostenlose Bücher