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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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Nein, nein, weiter weg; und lächelnd sagte er auch noch: Ich mache gern einen frühen Gang. Für das, was er bei uns sah, fand er Worte der Bewunderung, die genauen Spaliere beeindruckten ihn, die sich über die Ebene zogen und in die Senke hinabliefen, das mächtige Haus auf dem Hügel – er sagte nicht Kommandohügel – und die Mauer gefielen ihm, die ich in der ersten Zeit geschichtet hatte; da war mir klar, daß er alles hier kannte aus seiner Vergangenheit. Mehrmals entschuldigte er sich für sein Erscheinen, er bedauerte, daß er uns von einer Tätigkeit abgezogen hatte, und wie achtsam er sich auf dem Land bewegt hatte, das sollte seine Spur beweisen, auf die er uns wiederholt aufmerksam machte. Es war wohl das Schweigen des Chefs, das ihn veranlaßte, immerfort zu reden; gewiß wäre er am liebsten fortgegangen, doch da er unsicher war, was wir mit ihm vorhatten, blieb er und redete bewundernd und bedauernd.
    Und auf einmal zuckte er heftig zusammen, mitten in einem Satz, als ob eine Kugel ihn getroffen hätte, so winkelte er ab, mit nach hinten ausgestreckten Händen tastete er sich an den Findling heran und sackte in die Hocke. Sein hechelnder Atem. Die fahrigen Greifbewegungen, mit denen er seine Hände zu verklammern suchte. Das Schwanken, das Zittern, das Schütteln seines Oberkörpers. Hilflos blickte er zum Chef auf, hilflos und so, als ob er sich schämte, und ich wunderte mich darüber, wie ruhig der Chef blieb, er sagte nichts, einmal brachte er nur die Hände des Fremden zusammen, damit der seine Knie umspannen konnte, und das war alles. Die Saugbewegungen mit seinen Lippen machte er umsonst, ich erriet gleich, daß er eine Zigarette haben wollte, doch wir hatten keine bei uns, und es dauerte auch nicht lange, bis das Schütteln vorüber war und er sich ohne unsere Hilfe erheben konnte. Zum Abschied grüßte er nur knapp und mit belegter Stimme, und der Chef grüßte noch knapper zurück, und dann blickten wir ihm nach, wie er sich stolpernd zur Steinmauer bewegte und über das feuchte Land zur Holle hinunterging. Vermutlich sah der Chef mir an, daß ich nicht damit einverstanden war, den Fremden einfach ziehen zu lassen, denn er sagte: Der nicht, Bruno, der gehört nicht zu ihnen, aber ich möchte mal wissen, was der hier will. Vielleicht wurde er nur vorgeschickt, sagte ich, worauf der Chef sagte: Nicht mit diesen Händen, Bruno, und außerdem ist er ein Schüttler. Und wenn er uns nur etwas vorgemacht hat, fragte ich. Der hat uns nichts vorgemacht, sagte der Chef, der hat irgendwann etwas abbekommen, vielleicht im Krieg, vielleicht war er verschüttet wie mein Melder, der auch zum Schüttler wurde.
    Ich schlich hinter ihm her; der Chef versprach sich nicht viel davon, aber er hatte nichts dagegen, daß ich ihn verfolgte, denn er war der erste, den wir gestellt hatten, seit wir unsere nächtlichen Wachen gingen. Da er sich kein einziges Mal umwandte, brauchte ich nicht ständig unter Bäumen, hinter hohem Gras Deckung zu suchen. Ich folgte ihm geduckt und sah, wie er zur hölzernen Behelfsbrücke ging, zu den verdreckten Bohlen und Brettern, über die Lauritzens Vieh trottete, dort setzte er sich hin und blickte den Lauf der Holle hinab. Aus dem Horizont sickerte Licht in schmalen gelbroten Streifen, es brachte ersten Glanz auf die Wiesen, gab der Holle ihre funkelnde Schwärze, und der Fremde saß wie in Erwartung des Sonnenaufgangs; ab und zu warf er etwas ins Wasser, Halme und Blätter vermutlich, und sah zu, wie sie davontrieben. Es gab kaum einen Zweifel für mich, daß er unsere Holle kannte, und ich wußte es endgültig, als er aufstand und sich am Ufer bewegte, bis zur Viehtränke, hinter der gleich die tiefste Stelle der Holle ist, ein Erwachsener findet da gerade noch Grund. Das Wasser drängt dort nicht eilig vorbei; es schickt aus der Tiefe Wirbel hoch, die sich gegen das Ufer verlaufen, und was auf ihm hinfährt, das kreiselt hier erst einmal, ehe es, wieder von der Strömung erfaßt, weiterzieht. Hier hielt sich der Fremde noch länger auf als bei der Behelfsbrücke, er starrte nur in das Wasser, so lange, bis die Sonne hochkam, dann ging er weg, Richtung Hollenhusener Bahnhof.
    Der Chef zuckte die Achseln, er konnte sich auch nicht erklären, was der Fremde bei uns an der Holle wollte, der Schüttler, dem wir auf jener Wache zum ersten Mal begegneten. Viel mehr als an ihn dachte er an die anderen, um derentwillen wir wieder umsonst draußen gewesen waren, seine Enttäuschung und

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