Lenz, Siegfried
und sagte: Kann sein, daß es damals einem Bauern gehörte, der nach eigenem Plan seine Gerste und seinen Hafer anbaute, worauf Max den Kopf schüttelte und mich darauf hinwies, daß es zu jener Zeit hier noch keine freien Bauern gab, sondern nur Pächter, die allesamt verschuldet waren bei einem mächtigen Gutsbesitzer. Da fragte ich schnell: Und er? Von wem hatte er das Land? Von Kleineren, sagte Max, denen hat er’s abgeknöpft, weggenommen, vielleicht auch abgekauft.
Treppab, mit seinen Fragen führte er mich richtig treppab in ganz frühe Zeit, manchmal hatte ich das Gefühl, daß es bald keinen Boden mehr gab, weil es immer weiter zurück und tiefer hinab ging, dunkler wurde es da von allein, und in meinem Kopf herrschte ein ziemlicher Kuddelmuddel. Und davor? Und vor diesem? Und ehe jener kam? Seine Fragen brachten uns ganz nach unten, in eine Ferne, eine Dämmerung, in der das Land allein sich selbst gehörte, keine Fußspuren gingen über es hin, keine Zäune teilten es ein, alles genügte sich selbst, alles wuchs und verging und kam mit sich aus. Als dann der erste hier auftauchte, als er vielleicht auf dem späteren Kommandohügel stand und das Land überblickte, das keine Häuser trug und von keinen Wegen durchzogen, von keiner Bahnlinie durchschnitten war, da mochte er sich manches ausgerechnet haben, aber bestimmt nicht dies: das Land in Besitz zu nehmen. Ursprünglich, sagte Max, gehörte alles allen. Auch als ein zweiter kam, ein dritter, verfiel keiner auf den Gedanken, etwas für sich allein zu fordern und auszustücken und gegen anderen Anspruch zu verteidigen – was vorhanden war, war wie selbstverständlich gemeinsames Eigentum.
Und dann wollte er von mir wissen, ob es nicht gut wäre, wenn jeder sich nur das nimmt, was er braucht, und ich sagte: Einige brauchen immer mehr als andere. Und dann seufzte er und fragte, ob es nicht gut wäre, wenn das, wovon wir leben, wieder zum Gemeingut gemacht würde, und darauf wußte ich keine Antwort.
Max schüttelte den Kopf und klopfte mit seinem Stöckchen auf die Bank, ich konnte ihm ansehen, daß er nicht zufrieden war mit mir, aber das dauerte nicht lange, und als ich ihm vorschlug, unsere verdreckten Stiefel in der Holle zu waschen, da war er gleich dafür. Er setzte sich auf die Böschung, und ich wusch seine Stiefel, tunkte ein Grasbüschel in die Holle und rieb und rubbelte, manchmal zog ich ein bißchen oder ich hob ein Bein zu forsch an oder drehte einen Fuß nach außen, da preßte Max seine Lippen zusammen und stöhnte leise wie unter Schmerzen. Nicht so heftig, Bruno, sagte er, nicht so heftig.
Es waren seine Gelenke, die schmerzten, das bekam ich heraus, als wir weitergingen in Richtung Dänenwäldchen und er immer wieder seufzte und stehenblieb, er suchte geradezu nach einem Vorwand, um stehenzubleiben. Meine Wurzelleute konnte ich ihm nicht zeigen, die waren weg, das Grubenversteck war noch immer abgedichtet und schien unberührt, aber der Stelzengänger und der Krakenmann und die dreibeinige Hexe waren verschwunden, nie habe ich sie wiedergesehen. Die doppelköpfige Schlange, die ich Max einmal geschenkt hatte, die besaß er noch; sie lag auf einem Regal und bewachte seine Bücher: das sagte er, und vor dem leeren Versteck sagte er auch: Vielleicht hat es sich selbständig gemacht, dein Wurzelvolk, ist einfach ausgezogen und treibt sich irgendwo herum.
Er, Max, hat auch einmal eine Sammlung gehabt, das war noch in den Quartieren des Ostens, doch was er dort als Junge sammelte, das waren weder Patronenhülsen noch mutwillige Wurzelgewächse, sondern etwas, das lebte und das er in drei Holzkisten aufbewahrte, die sein Großvater ihm überlassen hatte.
Du wirst es nicht glauben, Bruno, woraus meine einzige kurzlebige Sammlung bestand, aber es waren Raupen. Den grünen Kiefernspanner hatte er in einem Kistchen, auch die gelbgraue Queckeneule, er hatte den Baumweißling und den Braunen Bär, und mit ihren schönen Farben, mit ihren Dornen und Hörnern erfreuten sie ihn so manches Mal. Kaum war er aus der Schule, schlich er sich auch schon in den Schuppen, in dem er seine lebende Sammlung versteckt hatte, und die immer hungrigen, immer krabbelnden und sägenden Raupen bekamen dann Blätter und Kiefernnadeln und was sie sonst noch mochten. Die Kisten waren hinter Maschendrahtrollen verborgen, die der Chef angeschafft hatte, um Jungpflanzen gegen den Verbiß der Wildkaninchen zu schützen, und als er eines Tages den Draht spannen wollte,
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