Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
Vom Netzwerk:
mehr, das gibt er nicht zu. Und wenn man schon glaubt, daß er selbst unsicher geworden ist und alles auf sich beruhen lassen möchte, dann nimmt er es wieder auf und fragt sich an einen heran, es bleibt dann nicht viel übrig zu überlegen, man muß ihm recht geben, ihm beipflichten, und während er weiter und weiter geht, immer noch so, als suche er selbst festen Stand, verengt sich etwas, es beginnt zu schnüren. Max schnürt einen regelrecht ein, und zum Schluß kommt man sich vor wie der Birkenspanner in seinem Kokon, festgesponnen. Da klebt man und kann nur ja sagen oder das tun, was sich als einziges ergibt.
    Wie schlaff sein Gesicht geworden ist, wie schlaff und gedunsen. Einmal, als ich ihn von der Bahn abholte, sagte er zu mir: Ich bin fett geworden, Bruno, nicht? Aber mit etwas Fett läßt sich die Welt leichter aushalten, schließlich braucht jeder einen Puffer, ich hab mir diesen zugelegt.
    Obwohl Max viele überreden kann, Chef könnte er hier nicht sein; Joachim, ja, der könnte sich zumindest so aufspielen, doch Max nicht. Aber wer weiß, vielleicht haben sie beide schon von der Nachfolge geträumt, wenn sie nicht davor haltmachen, den Chef entmündigen zu lassen, müssen sie wohl auch bedacht haben, wer danach alles übernimmt und fortführt, einer von ihnen wird es tun müssen. Max nicht, nie und nimmer, der weiß nicht einmal, wie sich die Keimblätter beim Kürbis entwickeln, und daß das Wasser in manchen Pflanzen durch Wurzeldruck hochgepreßt wird, das konnte er sich nicht vorstellen – damals, als ich die Wette gegen ihn gewann. Ich bekam mein Glas Honig, wie ich es mir gewünscht hatte, denn der Chef selbst bestätigte, daß manche Pflanzen ihr Wasser mit einem Druck von acht Atmosphären hochpressen. Es kann aber auch sein, daß Max mich nur gewinnen lassen wollte, vielleicht hat er mit Absicht verloren, ihm muß ich es zutrauen, ihm, der mich bestimmt nicht fortschicken wird. Zwei Wetten hab ich sogar schon gegen ihn gewonnen, der Einsatz war auch bei der zweiten Wette ein Glas Honig, es war vor dem großen Ameisenhügel im Dänenwäldchen, vor der rieselnden Ameisenburg, die er zum ersten Mal sah.
    Max glaubte nicht, daß es einer wagen würde, sich auf diesen Hügel zu setzen, der Biß von tausend kleinen Zangen, meinte er, müßte jeden abschrecken; da fragte ich ihn, wieviel es ihm wert sei, wenn es einer täte, und er sagte: Mindestens ein Glas Honig. Ich bekam es. Mit einem Schwupp setzte ich mich auf den lockeren Hügel und verhielt mich ganz still, die Ameisen gaben gleich Alarm, ließen ihre weißen Eier fallen, krabbelten aus ihren Arbeitswegen und wimmelten über meine Hände und Schuhe und Beine, einige verliefen sich auf meinem Rücken, drangen bis zum Hals vor und untersuchten meine Ohren – die in den Mund hineinwollten, die blies ich weg. Gebissen hat mich keine, wenigstens fühlte ich kein Brennen, keinen Schmerz, und Max, der mich nur entgeistert ansah, mußte sich an einen Baum anlehnen, um den Anblick auszuhalten. Später, nachdem ich mich ganz ausgezogen und die verbiesterten Ameisen aus meinem Zeug gepult hatte, sagte Max: Du bist eben etwas Eigenes, Bruno, ich weiß nicht, was, aber gewiß etwas Eigenes. Ich bekam den Honig.
    Wenn Max wiederkommt und noch einmal klopft, werde ich ihm doch aufmachen, kann sein, daß er mir etwas Wichtiges sagen will, vielleicht muß er auch schon wieder abreisen und möchte sich nur verabschieden – Max, der noch kein einziges Mal weggefahren ist, ohne sich von mir zu verabschieden. Dennoch, mitunter werde ich nicht aus ihm schlau, in ihn hineinzusehen ist viel schwieriger als bei den andern, bestimmt gibt es bei ihm verschiedene Schichten, wie auf unserem Land hier. Sollte er wirklich der neue Chef werden, dann wäre er ziemlich auf mich angewiesen, in der ersten Zeit käme er überhaupt nicht ohne mich aus – aber wie komme ich nur darauf, ich sollte lieber ein bißchen ruhen als so etwas denken, denn eher erheben sich alle unsere Quartiere in die Luft, als daß Max hier das Sagen bekommt.

Wachbleiben, für immer, das schaffe ich einfach nicht, ich hab mir schon oft überlegt, wie es wäre, wenn ich immer wach bleiben könnte, Tag und Nacht, drinnen und draußen, und manchmal hab ich es auch versucht, mich gegen den Schlaf zu wehren, indem ich mir alles mögliche ausdachte, Brände und Schiffsuntergänge und durchgehende Pferde, doch nicht einmal das, was mir Angst macht, konnte die Müdigkeit aufhalten, zum Schluß hat der

Weitere Kostenlose Bücher