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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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seine Erbitterung waren ihm anzumerken. Als er seinen Feldspaten in die Erde hieb, daß es nur so ratschte, wußte ich, daß dies ein Signal zum Aufbruch war, wir gingen schweigend nebeneinander her, jeder in seinen Gedanken, doch bevor ich ihn verließ, sagte er: Wir schnappen sie noch, Bruno, einmal gehen sie uns in die Falle, denn an Ausdauer sind wir allen überlegen.
    Wir schnappten sie nicht. So oft wir auch draußen waren: wir bekamen keinen zu Gesicht, weil sie entweder schon vor uns dagewesen waren oder aber mit dem Abräumen der Pflanzen warteten, bis wir unsere Wache verlassen hatten, wir mußten denken, daß sie uns immer im Auge hatten und sogar mithörten, was wir verabredeten. Über all die Verluste führte der Chef Buch in seinem Büro, er war außer sich, er war ratlos und verlor mitunter die Beherrschung, und es wunderte mich nicht, daß er sich eines Nachts entschloß, sein Gewehr umzuhängen und es während der Wache auf den Knien zu halten. Alles, ich hab ihm da alles zugetraut.
    Einmal, im Morgengrauen, schoß er eine Elster und kümmerte sich nicht um den Balg, das hatte er noch nie getan; ich brauchte nur auf einen Ast zu treten oder zu seufzen, dann zischte er mich schon an und verwarnte mich blickweise. In manchen Nächten wagte ich es gar nicht, auch nur ein einziges Wort zu sagen, so verschlossen und düster hockte er neben mir, und wenn er plötzlich etwas sagte, dann erschrak ich mitunter. Ich spürte, wie er immerfort nachdachte, und ich war ganz sicher, daß er, der noch alles durchschaut und geregelt hat, eines Tages die Falle zumachen würde. Ob er damals schon einen Verdacht hatte, das weiß ich nicht, aber ich weiß, daß er die Gewohnheit annahm, jeden, der ihm begegnete, nach seiner Arbeit zu fragen oder Leuten nachzublicken, lange und grüblerisch, selbst Joachim und Guntram Glaser blickte er so nach. Nicht allein Bruno merkte da, daß etliche sich bemühten, dem Chef aus dem Weg zu gehen.
    Im Winter hörten die nächtlichen Besuche auf, in dem schneereichen Winter, der wie ein Konditor in unseren Quartieren arbeitete und allen Pflanzen Mützen und Kappen aufsetzte, das war ein Stäuben, ein Glitzern, wenn der Wind durchging oder wenn ein Krähenschwarm einfiel. Die Unsichtbaren holten sich nichts mehr, die wenigen Spuren auf dem Land stammten immer nur von uns, schon begannen wir, auch an etwas anderes zu denken als immer nur an die heimgesuchten Quartiere, doch einer konnte es nicht vergessen, wo er stand und saß, und das war der Chef. Er kam nicht davon los. Er litt wohl darunter, daß er keinen hatte schnappen können; daß ihm die Verluste zu schaffen machten, gab er nicht zu erkennen. Dieses Brüten, diese Abwesenheit. Dieses Forschen und Befragen. Selbst zu Silvester, beim Bleigießen, konnte man ihm ansehen, was ihn mehr beschäftigte als alles andere. Sein Grogglas mit beiden Händen umfaßt, so saß er für sich in einer Ecke und starrte auf den feuchten Ring, den sein Glas machte, und hörte kaum hin, wenn die launigen Gebilde ausgelegt wurden. Als Ina ihn einen Spielverderber nannte, da nickte er bekümmert.
    Sie war es, Ina, die das Wort hatte beim Spirituskocher und bei der gefüllten Waschschüssel, sie verwaltete auch das in Scheibchen gesägte Bleirohr und legte jedem eine Portion in den altmodischen Suppenlöffel, nur gießen und rausfischen, das mußte jeder selbst. Wie sie sich freute, wie sie hüpfen konnte vor Begeisterung, besonders wenn Guntram Glaser sich Bedeutungen einfallen ließ für die blitzenden Gebilde; obwohl jeder etwas zu dem Gegossenen sagte, soviel Launiges und Eigenartiges wie Guntram Glaser konnte keiner herauslesen, und für die Zukunft voraussagen schon gar nicht.
    Nun seht euch an, was Joachim fertiggebracht hat: ein Pferd im Handstand, im Fußstand selbstverständlich, und diese Kugelköpfe, das sind Seehunde, die Beifall klatschen. Joachim wird einen Preis holen! Dorothea bestätigte er, einen Wasserfall gegossen zu haben, der bedeutete nie versiegende Kraft und Verläßlichkeit, und das graue Einsprengsel, das sollte ein gekentertes Boot sein von einem, der die Strömung unterschätzt hatte. Was das Blei, wenn es zischend in die Schüssel gefallen war, nicht alles zeigte: eine Pumpe mit Hut, ein Wrack auf dem Meeresgrund, explodierende Kiefern und einbeinige Reiher, wenn man nur ausdauernd genug suchte, dann fand man dies im Blei.
    Warum ich so zitterte, als ich den Löffel in die Flammen hielt, das weiß ich nicht, ich hatte das

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