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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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sie sich unter den alten Kiefern vorbeimüht. Und Ina hat es anfangs auch für einen tödlichen Unfall gehalten, ebenso wie Max und Dorothea und ich, und Pastor Plumbeck, der die Grabrede hielt, wußte auch nicht mehr und sprach von einem tragischen Unglück.
    Einen schöneren Begräbnistag kann es gar nicht geben, jedenfalls nicht in Hollenhusen: es ging kein Wind, karpfenblau war der Himmel, in der Luft hielt sich ein Geruch von dorrendem Gras, und die Kiesel auf dem Hauptweg gaben soviel Wärme zurück, daß einige Männer verstohlen ihre Jacken aufknöpften. Die Vögel, am liebsten hätte ich ein paar Kiesel aufgenommen und sie nach den Buchfinken geworfen, die mit ihrem Schmettergesang die Ausdehnung ihrer Reviere anzeigten, und auch die beiden Schwarzdrosseln hätte ich am liebsten vertrieben. Vier Männer hoben den Sarg, in dem Guntram Glaser lag, auf einen kleinen, gummibereiften Wagen, anzustrengen brauchten sie sich kaum, denn der Wagen lief schon vom Handauflegen, den Hauptweg hinab, zum Ringweg, zur mit Grün abgedeckten Grube. Gleich hinter dem Wagen ging Ina mit den Kindern an der Hand, hinter ihr gingen der Chef und Dorothea und Guntram Glasers Mutter, danach kamen schon Max und ich und Joachim, und im Abstand folgte dann die Trauergemeinde. Ina unverschleiert, Ina, leicht und knochig, ein graues Gesicht. Als ganz kleine zarte Herren in langen Hosen die beiden Kinder. Dorothea mit dem weißen Taschentuch in der Hand. Lippenlos der Chef, den Kopf erhoben, starr – er, der schon alles wußte. Und Max seufzend unter der Hitze, und Joachim mit hängenden Schultern.
    Aufgeworfen neben dem Grubenrand war grauschwarzer Humus, fetter Lehm, eine Schicht körniger Mischerde; wir verteilten uns um die Grube, die Trauergemeinde schloß auf und krümelte auseinander, einzelne stiegen auf Bänkchen, erwogen wohl sogar, auf Grabsteine hinaufzuklettern, nur um besser sehen zu können, doch das riskierte keiner. Die Sonne blendete, auf unserer Seite mußten wir die Augen schließen ab und zu, auch der Chef, der sich auf dem fettigen Lehm zurechttrat, um festen Stand zu haben, und der ein paarmal nach meinem Arm faßte, als müßte er sich eines Halts versichern. Der Sarg wurde über die Grube gehoben und auf das querliegende Bretterzeug gesenkt, die Seile lagen schon bereit, Pastor Plumbeck stieg auf ein Erdhügelchen und begann zu beten – in diesem Augenblick erkannte ich ihn, erkannte den Schüttler.
    Er kam hinter der Backsteinkapelle hervor, neben den uralten Grabsteinen, er blickte über die Trauergemeinde, mitunter wandte er sich auch um, als fürchtete er, hier entdeckt zu werden, anscheinend war er zufrieden damit, alles nur aus gewisser Entfernung zu erleben. Beim Gebet kam der Schüttler näher, behutsam, Schritt für Schritt, es zog ihn richtig heran, er begnügte sich nicht damit, aufzuschließen, sondern drängte sich an einigen Trauernden vorbei, auch an Ewaldsen, der einen schwarzen Rock trug, auch an Magda. Einmal verschwand er hinter einer Hecke, einmal wurde er auch von einer engstehenden Gruppe abgedeckt, doch er entkam mir nicht, ich behielt ihn im Auge, ich mußte es einfach, obwohl ich so nur wenig von dem mitbekam, was Pastor Plumbeck auf den Sarg hinabsprach. Von der Blüte der Jahre sprach er, das weiß ich noch, und ich weiß auch noch, daß er sagte: Denn alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit des Menschen wie des Grases Blume. Ina weinte nicht, doch Dorothea, die schluchzte, es schüttelte sie durch und durch, und Max mußte sie stützen.
    Plötzlich war er weit vorn, er stand hinter Ina und den Kindern, und dort wollte er wohl bleiben, denn er senkte sein Gesicht und legte die Hände ineinander, er trauerte wirklich, jeder konnte es ihm anmerken, und vielleicht war es dies, seine Trauer, daß niemand in seiner Nähe sich für ihn interessierte, obwohl er so ein Zeug mit Fischgrätenmuster anhatte und ziemlich heruntergekommen aussah; aber auf einmal gewahrte ihn der Chef. Der Chef tastete nach meiner Hand und umspannte mein Gelenk, ich sah ihn an, und er nahm meinen Blick auf und lenkte ihn hinüber zum Schüttler, und so, daß es kein anderer hörte, flüsterte er: Drüben, Bruno, dort steht er, halt ihn fest.
    Das war leicht gesagt, und ich überlegte und berechnete. Pastor Plumbeck sprach von unergründlichen Ratschlüssen, Dorothea schluchzte noch heftiger, die Trauergemeinde stand regungslos und horchte und sah sich an irgendetwas fest, und er selbst, den ich mir schnappen

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