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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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eingegrabenen Übungspanzer an und erledigten ihn nach seinen Anweisungen. Und tarnten sich als Strauch und gruben sich enge Löcher, um sich zu verteidigen, ohne ein Ziel zu bieten. Sie hatten sich abgesprochen und waren sich einig und warteten geduldig auf eine Gelegenheit. Nur einen Denkzettel: das war ausgemacht zwischen ihnen, und dann, nach langem Warten, war es einmal dunkel genug und still genug, und sie fingen ihn am Fuß des Kommandohügels ab, sie stürzten sich auf ihn, rissen ihn um und bearbeiteten ihn gleich ohne ein Wort, denn er durfte sie nicht erkennen, doch er konnte sich aus ihrem Griff befreien und sich erheben, und nicht nur dies: er fing an, sich zu wehren, traf zuerst Guntram Glaser und dann auch den Schüttler, sie waren gewarnt, aber zur Flucht war es zu spät, da er sie beide bereits erkannt hatte.
    Und dann fiel er plötzlich, stöhnte auf und fiel. Der Schüttler beugte sich zu ihm hinab und holte aus. Und er lag da und rührte sich nicht mehr, hob nicht einmal die Hände, um sich zu wehren. Hör auf, es ist genug, wir müssen verschwinden. Guntram Glaser kniete sich hin und betastete ihn, spürte etwas Feuchtes an seinen Händen, und dann hörte er, wie ein Seitengewehr in die Scheide zurückgestoßen wurde, und fragte: Weißt du, was du getan hast? Und sie hockten und standen in der Dunkelheit bei dem reglosen Körper. Weißt du, was du getan hast? Sie lauschten, sie erkundeten die Umgebung, dann hoben sie ihn gemeinsam an und trugen ihn ein paar Meter fort, stachen Soden aus und gruben ein tiefes Loch und nahmen ihm alles fort, was er bei sich trug, einschließlich der Erkennungsmarke, und gemeinsam legten sie ihn in die Erde. Und legten zum Schluß die Soden auf und traten sie fest.
    Der Chef erzählte es, und er wußte auch, daß bald ein großes Suchen und Forschen begann, nicht allein auf dem Exerzierplatz, sondern auch in Hollenhusen und in seiner Nachbarschaft, da wurde befragt und in Kette ausgeschwärmt, die vom Bahnhof wurden vernommen, sogar der Große Teich wurde abgesucht und das Dänenwäldchen durchstreift, doch alles Forschen führte zu nichts, es kam nichts an den Tag. Und als sie einen Marschbefehl bekamen und ausrückten, da hörte die Suche endgültig auf, andere Soldaten zogen in die Baracken ein, übten auf dem vernarbten Land, das nichts preisgab.
    Guntram Glaser und der Schüttler, die blieben nicht mehr lange zusammen, beim großen Rückzug verloren sie sich, einer ging für den andern verschollen, und ihr Wissen, das trugen sie fort in verschiedene Richtungen und lebten damit, jeder für sich.
    Wie bekümmert der Chef mich anguckte! Wie er aufstand und herumging, und wie er die Arme hob und sie fallen ließ. Siehst du, Bruno, sagte er, einer kann noch soviel Mut haben, was hilft das alles, wenn er nicht den Mut hat, beizeiten zu reden. Und dann schlurfte er ans Fenster und sah über das Land und erzählte so leise, daß ich Mühe hatte, ihn zu verstehen, wie der Schüttler hier eines Tages auftauchte, mit einer Volkshochschulgruppe, die von Guntram Glaser durch die Quartiere geführt wurde und der er sich einfach angeschlossen hatte – da waren viele Jahre vergangen, und zumindest einer rechnete nicht mehr mit einem Wiedersehen. Der Schüttler versteckte sich in der Gruppe, er zog mit ihr und hörte sich Guntrams Vortrag an, sie machten die große Schleife, wie wir es unter uns nannten, und zuletzt gingen sie ins Kühlhaus, wo ihnen die Mantelkühlung erklärt wurde, bei der es keine bewegte Luft gibt und die Pflanzen nicht zusätzlich befeuchtet werden müssen.
    Um ihnen zu beweisen, daß Pflanzen im Mantelkühlraum nicht vertrocknen, zog Guntram Glaser einen Rosenbusch aus dem Holzgestell, und plötzlich erkannte er in der Öffnung vor sich das Gesicht des Schüttlers, erkannte es und vergaß, was er sagen wollte.
    Sie trafen sich im Wartesaal und an der Holle und im Dänenwäldchen, und es war immer der Schüttler, der den Treffpunkt bestimmte, und jedesmal, wenn sie zusammen waren, kam er damit, daß er nicht mehr weiter wüßte und sich nun stellen würde, endgültig. Ausschlaggebend für seinen Wunsch, sich zu stellen, war die Art seiner Anfälle.
    In den ersten Jahren nach seinem Unglück – sie hatten auf ihrem Rückzug einen Bahndamm gesprengt, und er war verschüttet worden –, kamen die Anfälle nur selten, mit der Zeit aber traten sie häufiger auf, und schließlich stellten sie sich prompt ein und wie auf ein Stichwort: er brauchte nur an etwas

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