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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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auf, schweigend, trat vor die Tür, als wollte er sich bedenken, und da sein Schweigen dauerte, ging auch der Chef hinaus, um sich die Antwort zu holen. Da war niemand mehr da, Guntram Glaser war fort.
    Der Chef setzte sich zu mir und sagte, daß er damals im Schuppen noch eine Weile gewartet hätte und dann allein zur Festung ging und gleich nach Guntram Glaser fragte, aber keiner hatte ihn dort gesehen, und keiner ahnte, daß er schon auf den Schienen saß und auf den Nachtzug wartete. Er sah keinen Ausweg mehr für sich, sagte der Chef, aber er sagte auch mit gesenktem Gesicht: Weil ich nun fast alles von ihm wußte, wollte ich auch den Rest wissen, und deshalb fragte ich ihn, ob der Schüttler etwas mit den Diebstählen auf unserm Land zu tun gehabt hätte.
    Das hätte ich wohl nicht fragen sollen, Bruno, das nicht; denn er war wirklich nicht daran beteiligt, heute weiß ich es. Er tut mir leid, sagte ich, Guntram Glaser tut mir leid, aber der Schüttler, der tut mir auch leid. Meine Worte erreichten ihn wohl nicht, denn er starrte nur vor sich hin, ohne sich zu rühren, und auf einmal zog er diesen ungeöffneten Brief aus der Tasche, einen Brief an Ina, den der Schüttler geschrieben hatte, kurz bevor er sich stellte. Vermutlich war der Chef im Zweifel, ob Ina ihn lesen sollte und hatte ihn deshalb zurückgehalten, ich weiß es nicht, ich weiß nur, daß er auf einmal aufstand, mir zunickte und mit dem Brief in der Hand hinausging – nicht anders, als hielte er nun den Zeitpunkt für gekommen, ihn auszuhändigen.
    Du immer mit deinem Mitleid, hat Magda damals gesagt, einer kann sein, wie er will, und machen, was er will, du findest noch genug an ihm, daß er dir leid tut. Sogar der Schüttler, sogar Heiner Walendy, und einmal sogar Joachim, als der fallende Baum ihm die Haut abriß – wenn es nur weit genug gekommen ist mit einem, dann hast du bestimmt Mitleid für ihn übrig. Auf mein Kopfschütteln wollte sie wissen, mit wem ich denn kein Mitleid hätte; los, sagte sie, nenn mir einen, der dir nicht schon einmal leid getan hat, da hab ich eine ganze Weile nachgedacht, ohne ihr einen Namen nennen zu können. Siehst du, hat sie gesagt.
    Gewiß ist er schon durch, der Nachtzug, den Pfiff werde ich wohl überhört haben, den klagenden Pfiff, den der Wind über die Quartiere trägt. Mehlbeeren, ich hatte mir doch Mehlbeeren aufs Fensterbrett gelegt, eine ganze Handvoll für den Nachthunger, anscheinend hab ich sie schon aufgegessen, ohne es zu merken. Wenn ich in Gedanken bin, dann kann ich essen, ohne zu merken, daß ich esse, und nachher hab ich es vergessen. Daß ich auch vor dem Schlafen essen muß!
    Der Chef schläft noch nicht, es brennt immer noch Licht in seinem Zimmer, und dort steht er am Fenster, es ist seine Gestalt, vielleicht schaut er zu mir herüber und überlegt, wann er mich besuchen soll. Da ist noch jemand. Ina. Ina und er.

Er geht und geht einfach nicht. Er steht da mit seiner Aktentasche und sieht mir so ausdauernd und interessiert zu, als wolle er selbst lernen, wie von Hand getopft wird, und dabei hat er noch so viele Fragen, daß ich mich am liebsten taubstumm stellen möchte. Grieser heißt er oder Kiesler, seinen Namen hab ich nicht richtig verstanden, weil er immer zur Seite wegspricht, mit diesem Dauerlächeln, das kein wirkliches Lächeln ist. Wenn ich nur wüßte, was der so früh mit dem Chef besprechen möchte, seine Aktentasche ist nicht allzu dick, an Zeit fehlt es ihm nicht, und um über Bestellungen zu verhandeln, braucht einer doch nicht im dunklen Anzug zu kommen und so eigenartig gekämmt zu sein, wie er es ist: nicht nach vorn und nicht nach hinten, sondern das ganze Haar von einer Seite zur andern. Wer weiß, vielleicht ist es der, den das Gericht herausgeschickt hat, um den Chef unter die Lupe zu nehmen, und dem er selbst den Stuhl vor die Tür gesetzt hat, vielleicht ist es der, der in öffentlichem Auftrag hier herumschnüffeln soll, es würde mich nicht wundern, wenn sie nun damit anfangen, auf ihre Art Beweise zu sammeln, mich würde es nicht wundern.
    Warum wir keine Tontöpfe mehr nehmen, fragt er, früher, da hat man die Jungpflanzen doch in Tontöpfe gesetzt. Wegen der Bewässerung, sage ich, die Wand des Tontopfes ist porös, das Wasser verdunstet schnell, in unseren Plastiktöpfen hält es sich länger. Und nun will er auch noch wissen, warum wir viereckige Töpfe nehmen und keine Rundtöpfe, dabei kann er doch hier auf meinem Arbeitstisch sehen, daß sich die

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