Lenz, Siegfried
Bestimmtes zu denken, da begann schon das Beben, da zwang es ihn in die Knie, und weil er das, was den Anfall mit sich brachte, nicht denken wollte, mußte er es nur um so öfter tun.
Und Guntram Glaser half ihm, er half ihm auf die Beine und gab ihm alles Geld, das er erübrigen konnte, denn er wollte nicht, daß der Schüttler in seiner Not hinging und sich stellte, bei jeder Begegnung redete er auf ihn ein und versuchte, ihn davon zu überzeugen, daß es keinem mehr helfen würde, wenn er jetzt alles aufdeckte, nach so langer Zeit, und für den Augenblick sah es der Schüttler auch ein, für den Augenblick. Ab und zu fuhr er mit dem Zug fort, er sagte nie, wohin, er verschwand ohne Abschied für einige Tage, doch Guntram Glaser hatte sich abgewöhnt, darauf zu hoffen, daß er für immer verschwunden bliebe, plötzlich war er wieder da und brachte sich in Erinnerung. Er wohnte im »Kiek in«, in einem der niedrigen Zimmer, das er von Guntram Glasers Geld bezahlte, doch dort war er nur selten zu finden, weil er immer herumstreifte zu ungewohnter Zeit, an der Holle entlang oder durch unsere Quartiere; die Leute im »Kiek in« wunderten sich schon über ihn und stellten Fragen hinter seinem Rücken. Das taten sie. Vor allem wollten sie wissen, was diesen Fremden und Guntram Glaser verband, und warum die beiden sich an abgelegenen Stellen trafen, wo keiner sie belauschen konnte. Und da sie nichts erfuhren, machten sie sich gewisse Meinungen zurecht und brachten sie in Umlauf.
Zum letzten Mal wurden sie auf dem Bahnsteig in Hollenhusen zusammen gesehen, sie gingen dort auf und ab und sprachen miteinander, eine Fahrkarte hatte keiner von ihnen gelöst. Der Schüttler schien entschlossen, sich zu stellen, und wie Guntram Glaser spürte, daß ihn diesmal weder Bitten noch Beschwichtigungen davon abhalten würden, bot er ihm alles Geld an, das er hatte, die einzige Bedingung war nur, daß sie sich dann nicht mehr wiedersehen sollten. Er überlegte noch, der Schüttler, als ein Zug einlief, ein Güterzug, der immer langsamer wurde, aber nicht hielt, er stand da und starrte auf die vorbeirumpelnden Waggons, und auf einmal griff er nach diesem dünnen Eisengeländer, das zu dem Bremserhäuschen hinaufführt, sprang auf ein Trittbrett und klammerte sich fest; kein Wort, als er davonfuhr, kein Winken, festgeklammert blickte er zu Guntram Glaser zurück, bis der Zug die alten Kiefern erreichte.
Einige von unseren Leuten sahen Guntram Glaser von den Schienen heraufkommen und über das Land gehen mit ungewohnter Achtlosigkeit, er entgegnete keinen Gruß, verweilte nicht wie sonst bei den Kulturen, er ging geradewegs auf die Festung zu, doch bevor er sie erreichte, entschied er sich anders und verschwand auf einem Transportweg, der in die Senke hinabführt. Die Leute, die ihn zu Gesicht bekamen, sahen ihn da zum letzten Mal. Er suchte nicht den Chef, er ging zum alten Schuppen hinab und war schon an ihm vorbei, als der Chef ihn entdeckte und anrief und aufforderte, in den Schuppen zu kommen, wo er damals oft war, um von sich aus die Ursachen der Keimruhe zu finden, all das, was im Fruchtfleisch sitzt oder im Samenkern oder in der Schale und das Keimen hemmt.
Ein Blick nur, und er, dem nichts entgeht, der alles wittert und durchschaut und das meiste vor allen andern weiß, erkannte sogleich, daß einer vor ihm stand, der nicht mehr weiter wußte, und er zog ihn in den Schuppen hinein und drückte ihn auf den Hocker nieder. Gewiß saßen sie sich eine Weile stumm gegenüber, und Guntram Glaser wußte wohl noch nicht, ob er alles erzählen und loswerden sollte, aber wen der Chef so ansieht mit seiner Ausdauer, mit seiner Bereitschaft, zu verstehen, der fängt auf einmal wie von selbst an zu sprechen, manchmal sogar zur eigenen Überraschung. Und Guntram Glaser begann, und er schonte sich nicht; als ob er mehr und mehr mit sich selbst ins Gericht ging, schilderte er seinen Anteil an den Geschehnissen, er verharmloste nichts, machte sich nicht klein und ließ nichts aus.
Nie zuvor hatte der Chef einem zugehört, der so darauf aus war, sich selbst zu beschuldigen. Sie merkten nicht, daß die Dämmerung fiel. Sie saßen sich in der Dunkelheit gegenüber, und sie blieben noch sitzen, nachdem Guntram Glaser zu Ende gekommen war und vielleicht auf etwas wartete; der Chef war sich da nicht sicher. Damals stellte er die erste Frage, es war die einzige Frage, die ihm im Augenblick kam, und statt dem Chef zu antworten, stand Guntram Glaser
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