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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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sie sich nicht vorzeigen, den Magda für mich aufgefüllt hat, sie hat nur bestimmt, daß Magda die Fäden von den Kohlrouladen lösen soll, weil ich die sonst mit aufesse. Die Küchenklappe ist nicht einmal ganz geöffnet, ich kann Magda Zeichen geben, ohne daß Lisbeth es merkt, und Magda wagt es, mir eine zweite Portion zu bringen, heute wagt sie es. Sie hat mir sogar etwas zugeflüstert, ohne daß Lisbeth gleich wissen wollte, was wir zu flüstern haben. Aber jetzt flüstert sie mit Magda und füllt da etwas auf ein Schüsselchen und setzt es auf ein Tablett, wenn das man nicht für den Chef ist, etwas Leichtes, Einfaches, ein Brei, von dem jedenfalls keine schweren Träume kommen. Mir macht sie immer mit schweren Träumen Angst, sie tut so, als wüßte sie, was ich nach Schweinerippen träumen werde und was nach Bauchspeck mit Birnen und was nach Falschem Hasen, aber wenn sie mir vorausgesagt hat, daß ich im Traum verschüttet werde, dann sehe ich nur den Hakenmann, wie er barfuß durch unsere Quartiere geht und die Spitzen der jungen Pflanzen knickt.
    Warum nicht, sage ich, denn es war ihre Stimme, die mich gefragt hat, ob ich einen Klacks Apfelgrütze essen möchte, es ist ein bißchen zuviel geworden, sagt sie, und ich soll nur hereinkommen und mir die kleine Glaskumme nehmen. Wenn sie vor einem sitzt mit ihrer gewölbten Nase und dem schütteren Haar, dann möchte man gleich Zutrauen zu ihr fassen und ihr bei allem helfen, und man möchte gar nicht glauben, daß sie soviel zu raunzen hat. Noch bevor ich mir die Glaskumme schnappe, hab ich schon gefragt, ob der Chef vielleicht krank ist, weil er sich Apfelgrütze bestellt hat. Krank, sagt sie schnaufend, du bist krank, und jetzt raus hier. Sie will nicht wissen, wie mir die Apfelgrütze schmeckt, unbeweglich hockt sie da, den Blick auf die Küchenhandtücher gerichtet, stierend, der kümmerliche Haarknoten sitzt ihr wie eine Maus im Nacken, die Hände liegen im Schoß zusammen. Jetzt wartet sie bestimmt nicht darauf, daß ich meinen Teller im Ausguß abspüle und den Tisch abwische.
    Wenn Magda zu mir kommt in der Dunkelheit – und sie wird kommen, sie hat es angekündigt –, dann werde ich sie noch einmal fragen, warum Lisbeth im Gefängnis gewesen ist, ich kann mir gar nicht denken, daß sie im Schlaf ihr kleines Kind totgedrückt hat, aber Magda hat das gesagt, und sie hat immer recht. Wie Lisbeth mich anguckt; ich hab doch nur gefragt, ob es was zum Schleifen gibt, Messer oder Scheren. Sie hat ganz kleine dunkle Korinthenaugen und nickt mir zu, obwohl ich noch gar nicht gegrüßt habe, ich merke schon, daß sie allein sein möchte. Es hat gut geschmeckt, sage ich und sage auch: Ich geh jetzt schleifen.
    Hier im Rhododendron finden sie mich nicht, ich kann mich hinsetzen und warten, hier bin ich sicher vor ihnen, denn daß sie mich suchen und sich wieder mal etwas für mich ausgedacht haben, kann ich schon von weitem erkennen: Inas Kinder. Wie zart sie der Schulranzen macht, beide sind schmalbrüstig, ihre Streichholzbeine drohen immer umzuknicken, und ihre Hälse sind so dünn, daß ich sie mit einer Hand umfassen könnte, Tim und Tobias. Gewiß haben sie es auf mich abgesehen. Einmal hielten sie mir eine rostige Falle hin und wollten mich überreden, den eingeklemmten Bonbon vom Köderbrettchen zu nehmen, doch ich drückte mit einem Stock auf das Brettchen, und als die Falle zugeschnappt war, nahm ich mir den Bonbon.
    Ich möchte nur wissen, wo der Schulranzen geblieben ist, den der Chef mir geschenkt hat, vermutlich habe ich ihn verloren, wie ich auch all die andern Geschenke verloren habe, die Mütze, die schönen Taschentücher und das kleine Fernglas. Ina sagte damals, ich sei schon zu groß für einen Schulranzen und müßte eine Ledertasche mit mehreren Fächern haben, doch da hatte der Chef schon einen gebrauchten Ranzen besorgt, und er ließ es sich nicht nehmen, mich selbst zur Hollenhusener Schule zu begleiten, wo er mich für ein letztes Schuljahr angemeldet hatte.
    Es gab zwei Klassen damals, eine für die Kleinen, eine für die Größeren, und ich kam zu den Großen, die mich gleich umringten und die Köpfe zusammensteckten und sich bestimmt etwas ausdachten für mich. Sie reichten mir alle nur bis zur Schulter, das sah ich, als wir uns auf dem buckligen Schulhof aufstellen mußten, und es fiel mir schwer, ihre Gesichter auseinanderzuhalten, alle waren glatt und blondwimprig und hatten den wissenden Blick. Wir waren noch nicht in dem

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