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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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hatten genug gestapelt unter unsern beiden Barackenfenstern, sondern für den alten Magnussen, der auf einem verfallenen Hof für sich lebte, nur mit seinen Perlhühnern. Sie hatten nur ein paarmal miteinander gesprochen, der Chef und der Alte, über den krummen, löchrigen Zaun hinweg, nur so im Vorübergehen, und beim ersten Schnee schickte der Chef mich mit einer Schlittenfuhre Bruchholz zu dem verwahrlosten Anwesen, das alle nur Kollerhof nannten, ich weiß auch nicht, warum. Keiner von uns war jemals zuvor in dem Haus gewesen, Joachim nicht und Max und Ina nicht, nicht einmal Heiner Walendy hatte sich getraut, dem Alten zu folgen. Ich zog den Schlitten vors Haus und nahm mir nicht die Zeit, das Holz abzuladen und zu schichten; um schnell wegzukommen, kippte ich den Schlitten einfach um, so daß die Ladung in den Schnee fiel, doch Magnussen, der wohl den ganzen Tag am Fenster saß, hatte mich schon entdeckt, klopfte bereits dringend gegen die Scheibe, und als ich den Zugriemen über die Schulter nahm, stand er in der Tür und hielt mir seine Keksdose entgegen. Vorsichtig ging ich zu ihm hin, und weil ich die Hand nicht ausstreckte, steckte er mir seine Kekse in die Tasche, ganz voll stopfte er meine Tasche – niemals habe ich bessere Kekse gegessen, sie schmeckten nach Anis und nach Rosenöl. Ich hab ihm noch mehrere Ladungen Bruchholz gebracht, die ich immer weniger eilig ablud, manchmal pfiff ich sogar bei der Annäherung, um ihn auf mich aufmerksam zu machen, aber er hatte mich immer schon gesehen und stand mit seiner Keksdose bereit und forderte mich auf, zu nehmen. Sein Haus betrat ich nicht.
    Aber an einem Sonntag, an dem großflockiger Schnee fiel, erschien er weder hinter dem Fenster noch in der Tür, er erschien nicht, obwohl ich geräuschvoll ablud und meinen Aufbruch hinauszögerte, und da ich mich den ganzen Tag schon auf seine Kekse gefreut hatte, ging ich um das Haus, um ihn zu suchen, doch ich fand nur den verschneiten Kastenwagen und verschneite Pflüge und Brunnenrohre. Etwas warnte Bruno, etwas riet ihm, mit seinem Schlitten abzuziehen. Doch nachdem ich bemerkt hatte, wie der Wind mit der nur angelehnten Tür spielte, schlüpfte ich auf den Gang, dessen Boden aus hartem Lehm bestand, tastete mich vorwärts und schreckte einige Perlhühner auf, die in einer Ecke geschlafen hatten; zwischen meinen Beinen hindurch flohen die Hühner nach draußen.
    Als Magnussen mich rief, wollte ich zuerst wegrennen, er wußte, daß ich es war, der vor seiner Wohnstube stand, und da sein Rufen nicht aufhörte und dringender wurde, ging ich zu ihm hinein und roch gleich die säuerliche verbrauchte Luft und sah ihn selbst auf seinem Lager liegen, angezogen, eine Pferdedecke um die Füße gewickelt. Über dem Lager hing ein großer Spiegel, in dessen Rand unzählige Postkarten steckten, und von einer niedrigen Kommode funkelte mich ein ausgestopfter Iltis an. Was ich sofort entdeckte, das waren Tellereisen und Fallen, die in einer offenen Kammer lagen, und dazu Aalgabeln und Harpunen und Pickeisen, mit denen man schlafende Fasane von den Ästen herunterpicken kann, zuerst blenden und dann herunterpicken.
    Er winkte mich zu sich heran, er war jetzt sehr freundlich, und es war eine unerwartete Wärme in seinem Blick, als er mich aufforderte, das Bruchholz wieder aufzuladen und abzufahren, er sagte: Ich hab genug für die verbleibende Zeit, ich brauch nicht mehr. Dann schenkte er mir die geschlossene Keksdose und starrte auf die Decke und wollte nicht mehr sprechen, und ich ging hinaus und lud das Bruchholz auf, wie er es gewünscht hatte – sein eigener Stapel reichte vielleicht noch für acht Tage. So brachte ich meine Ladung nach Hause, schichtete sie unter dem Fenster, wo wir sie immer unter Beobachtung hatten, und als der Chef dazukam, erzählte ich ihm, daß der alte Magnussen das Holz nicht angenommen hatte und daß er still lag auf seinem Lager. Da ist der Chef allein durch das Stiemwetter zum Kollerhof gegangen, er wollte mich nicht mitnehmen, auch an den folgenden Tagen nicht, nur Dorothea, die hat er einmal mitgenommen, doch was sie dort taten, das weiß ich nicht. Jedenfalls, bevor er seinen bescheidenen Holzstapel aufgebraucht hatte, war Magnussen tot.
    Und bald darauf verließen wir die Baracke und zogen auf den Kollerhof; es war Tauwetter, und wir beluden den Schlitten und die zweirädrige Karre, unsere Nachbarn standen dabei und sahen uns zu, ungläubig einige, andere mißgünstig, keiner ließ sich

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