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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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lieblosen Nestern ab, und jetzt kreisen sie über den Kulturen, über der Versandhalle und dem neuen Geräteschuppen, sie dehnen ihre Kreise bis zur Festung aus, wo immer noch Licht brennt, wo die ganze Familie wohl um einen Tisch herumsitzt und beratschlagt, wie alles weitergehen soll, mit dem Kleinen, mit dem Großen. Mehr als schattenhafte Bewegungen kann ich nicht erkennen, aber ich stelle mir vor, wie sie Papiere wandern lassen und sich gemeinsam über ein Dokument beugen und es so lange studieren und auslegen, bis sie zufrieden sind, bis ihre Blicke sich finden und sie einander erleichtert zunicken, vielleicht über den hinweg, den alles betrifft und der still unter ihnen sitzt, still und bereitwillig.
    Er wird mich nicht fortgehen lassen, selbst wenn sein Sohn Joachim es verlangt, er wird darauf verweisen, daß ich ihm vom ersten Tag an geholfen habe, dies Land in Besitz zu nehmen und zu bearbeiten und zu verwandeln, und daß wir gemeinsam den Hügel bestimmten, auf dem einmal das Haus stehen sollte, seine Festung. An diesen Augenblick wird er sich ja wohl noch erinnern: wir standen auf dem alten, vernarbten Soldatenland und suchten nach einem Platz für das Haus, alles ging in einem Flimmern auf, die Übungsbunker, die Attrappen und der Übungspanzer, die Stille pulste, sie klopfte, und dann gingen wir, ohne uns verständigt zu haben, durch versprengt stehende Fichten einen Hügel hinauf und setzten uns hin und aßen unser Brot. Hier, Bruno, hat der Chef gesagt, hier bauen wir einmal unsere Festung, hier bleiben wir. Aus Spaß hat er sich auf den Bauch gelegt und das Eisenrohr, das wir in den Boden trieben, um Erdproben zu nehmen, wie ein Gewehr in die Schulter eingezogen und hierhin gezielt und dorthin gezielt, und zum Schluß hat er lächelnd gesagt, daß sich ein besseres Schußfeld nicht finden ließe.
    Schon wieder höre ich hinter mir die Stimme, ich hab schon wieder zu sprechen angefangen, bin schon wieder dabei, mir selbst zuzuhören. Nein, es steht keiner hinter mir, ich bin allein hier, kann den Sicherheitsschlössern und dem Riegel vertrauen. Ich weiß, daß diese Unruhe nur von meinem ewigen Hunger kommt, ein Stück roher Wruke kann mich schon beruhigen, aber noch mehr beruhigt mich Schwarzbrot, wenn es in Sauermilch hineingebrockt ist. Es ist nicht oft geschehen, daß ich so satt war, wie ich’s mir immer zu sein wünschte, auch als Magda noch in der Dunkelheit zu mir kam mit den vielen guten Resten, war mein Hunger nur vorübergehend beschwichtigt, nicht vollkommen gestillt. Magda hat gesagt, daß der Chef in der letzten Zeit immer weniger ißt, manchmal genügt ihm ein einziges Stück Fleisch, manchmal gibt er sich auch mit zwei Äpfeln zufrieden, und am Morgen reicht ihm sein Milchkaffee; da kann man wohl annehmen, daß er nicht von seinem Hunger geweckt wird, so wie ich es werde. Mich weckt jeden Morgen ein Ziehen in den Eingeweiden, ich spüre es sogar im Traum, und nach dem Aufwachen taste ich dann gleich das Fensterbrett ab auf der Suche nach etwas Eßbarem, das ich mir nach Möglichkeit bereitlege. Vor dir, hat Magda einmal gesagt, müßte man wohl alles wegschließen, was man zwischen die Zähne nehmen kann.
    Wenn der alte Lauritzen noch lebte, unser krummer, eigensinniger Nachbar, der in den ersten Jahren nur Verachtung für uns übrig hatte, dann wüßte ich, wohin ich gehen könnte: überall, wo ich ihn traf, machte er mir ein Angebot, zu ihm zu kommen, überall – auf dem Hollenhuser Bahnhof, während ich auf Max gewartet hab, bei den einjährigen Schattenmorellen am Großen Teich und mehrmals im sogenannten Dänenwäldchen, um dessen Besitz er und der Chef lange Krieg gegeneinander führten. Wann trittst du bei mir ein, Bruno, fragte er immer, und wenn ich die Achseln zuckte, grummelte er: Wirst es noch bereuen, Schwachkopf. Zwei Männer hat er überreden können, vom Chef weg und zu ihm zu gehen, mich nicht, obwohl er mir eine Arbeit versprach, bei der ich nichts zu tun haben sollte mit seinen Pferden. Ist gut, ist gut, sagte er, als ich ihn darauf hinwies, daß ich niemals mit Pferden arbeiten könnte, wir werden etwas anderes für dich finden, Arbeit gibt’s genug. Vielleicht wäre er gut zu mir gewesen, ich weiß es nicht; ich weiß nur, daß etwas nicht gestimmt hat zwischen uns beiden, denn die Blumen, die ich ihm bei seinem Begräbnis nachtrug, verwelkten und verdorrten schon auf dem kurzen Weg vom Friedhofstor bis zu seinem Grab.
    So zufrieden und ausgeglichen hab ich den

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