Leonard Bernstein
zweite Einspielung der Goldberg-Variationen herauskam, kurz bevor er starb, und die hörten wir uns ebenfalls an – obwohl mir die erste Aufnahme immer noch lieber ist –, und dann errichteten Steve und ich einen kleinen Schrein für Glenn in diesem Raum hier … und ich hängte auch ein paar Bilder von ihm an die Wand.
Manchmal sage ich ein kleines Gebet für ihn, wenn ich seine Aufnahmen höre.
Ich auch. Ich liebe ihn … und genau in dieser Sekunde ist er hier bei uns, ganz sicher … Also trinken wir noch ein Glas Wein!
[L. B. füllt unsere Gläser nach.]
Auch auf die Gefahr hin, ein bisschen unangemessen zu erscheinen, möchte ich Sie fragen, ob Sie die ungeheuer komische Bemerkung von Vladimir Horowitz schon einmal gehört haben, dass es nur drei Arten von Pianisten gebe: jüdische Pianisten, homosexuelle Pianisten und schlechte Pianisten.
[Er lacht.] Nein, die kannte ich nicht. Was wollten Sie fragen?
So viel steht fest: Horowitz’ kleines Aperçu wird von Glenn Gould Lügen gestraft. Aber glauben Sie nicht, dass man diese eurozentrische Aufzählung heute erweitern müsste? Müsste man nicht noch all diese brillanten asiatischen Musiker hinzufügen, die jetzt immer mehr hervortreten?
Aber es gibt Juden in Japan, und es gibt Homosexuelle in Korea! Was wollen Sie von mir? [Er lacht.] Aber es stimmt, ja, besonders für Japan, da gibt es die Saito-Schule 14 , die Seiji Ozawa besuchte – sie ist zu einem großen Teil für diese neue Entwicklung verantwortlich. Und dann gibt es all diese unglaublichen Geigenvirtuosen, die im Alter von zwei Monaten oder so [er lacht] anfingen zu spielen. Wir verstehen diese Art Fleiß nicht … aber diese Entwicklung wird sich fortsetzen.
Glenn Gould war immer offen für die neuesten technologischen Möglichkeiten, und ich frage mich, was Sie von dem heute weit verbreiteten Gebrauch von Synthesizern halten.
1988 habe ich mich überreden lassen, den größten Synthesizer zu kaufen, den Sie je gesehen haben. Die Firma New England Digital schickte mir ihr neuestes und größtes Synclavier, das ursprünglich für das MIT 15 vorgesehen war. Es hat zehn Tage gedauert, bis es in meinem Studio installiert war. Es sah aus wie das Armaturenbrett einer Concorde – so viele blinkende Knöpfe haben Sie noch nie im Leben gesehen –, und es wurde neben meinem Flügel aufgestellt. Dann wurde ein riesiger Computer gebracht, und im nächsten Zimmer wurde der Drucker installiert. Das alles dauerte eine weitere Woche.
Dann kam ein sogenannter Experte angereist, um mir zu zeigen, wie das Synclavier zu bedienen ist. Sie hatten mir gesagt, dieser Mann würde sich nicht nur mit dem Equipment auskennen, er sei auch selbst Musiker. Es stellte sich heraus, dass er tatsächlich ein Jazzmusiker war, der ein paar Auftritte in irgendwelchen Motels gehabt hatte, aber immerhin kannte er Akkorde und Notationen. Und er sagte: »Sehen Sie, es ist sehr einfach, es dauert nur ein, zwei Tage.« Eine Woche später sprach er immer noch von ein, zwei Tagen. Und nach ihm kam sein Assistent, ein junger Bursche, der seinen Master am Oberlin College gemacht hatte und tatsächlich alles über Synthesizer wusste, aber über diesen speziellen wusste er nicht so viel, weil das einfach unmöglich war. Und auch er musste erst einmal eingewiesen werden. »Überlassen Sie einfach alles mir und dem Experten«, sagte er mir. »Es ist gar kein Problem.« Sie ließen die Geräte die ganze Zeit an und sagten mir, ich könnte die ganze Nacht nach Herzenslust improvisieren, morgens kämen sie dann, um den Ausdruck zu übersetzen, auf dem fünfzehn gebundene Dreißig-Sekunden-Noten ohne jeden metrischen Zusammenhang standen (und noch einige weitere solcher Notationen).
Das Ganze endete schließlich in einem Ringkampf mit dem Click Track, dem Gerät, das dem Drucker die Taktstriche vorgibt. Aber niemand kann den Click Track schlagen, außer man benutzt eine Drum machine … und ich kann einfach nicht mit einer Drum machine arbeiten, dazu bin ich nicht der Typ! Um das zu beweisen, spielte ich den langsamen Satz der Pathétique von Beethoven – ohne Rubato, ohne irgendetwas – gegen den Click Track. Und schon nach anderthalb Takten waren wir nicht mehr zusammen. Weil der Drucker in der Millisekunde, die es dauert, eine Taste zu drücken, um einen Ton zu produzieren, etwas produziert, was mehr nach Charles Ives als nach Beethoven aussieht – einen formlosen Klecks aus Vierundsechzigsteln, zwei Sechzehnteln und so weiter. »Jetzt
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