Leonardo und das Geheimnis der Villa Medici
wollten.
Die Ledertasche lag auf dem Tisch. Er hatte das Schreibzeug noch nicht wieder ausgepackt.
„Du sollst es als Erster erfahren, mein Sohn!“, stieß Ser Piero hervor.
„Was meinst du, Vater?“
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„Weißt du, mit wem ich in Empoli Geschäfte gemacht habe?
Weißt du, für wen ich jetzt neuerdings als Notar tätig sein werde?“
Es war deutlich zu sehen, dass Ser Piero überaus guter Laune war.
„Du errätst es nie!“, meinte er.
„Arbeitest du etwa jetzt für die Familie Medici?“, fragte
Leonardo.
Er hatte einfach den Namen der mächtigsten Kaufmannsfamilie
von Florenz genannt. Wenn eine dieser mächtigen Familien, deren Namen in der ganzen Gegend bekannt waren, Ser Piero Aufträge
gab, war da für den noch relativ jungen Notar der größte Glücksfall, der sich denken ließ.
Einen Moment lang sah Ser Piero seinen Sohn etwas überrascht
an. Dass Leonardo gleich ins Schwarze treffen würde, hatte er nicht erwartet.
„Du hast nicht zufällig hellseherisches Talent, oder?“, lachte er dann. „Aber es stimmt. Ich vertrete jetzt die Interessen von Cosimo de’ Medici, der bei Empoli ein Stück Land gekauft und mich
beauftragt hat, den Vertrag aufzusetzen.“ Er beugte sich etwas vor und fuhr dann fort: „Vielleicht wird jetzt alles besser, Leonardo. Es 86
könnte sein, dass sich meine finanzielle Situation in der nächsten Zeit stark verbessern wird. Vielleicht werde ich sogar noch einmal heiraten und eines Tages nach Florenz ziehen. Und vielleicht…“ Er zögerte, ehe er weiter sprach. „Vielleicht könnte ich dich dann sogar mitnehmen, Leonardo. Na, was würdest du davon halten, in die
große Stadt Florenz zu ziehen. Das Zentrum des Geldes, der Banken und der Künste…“
„Das wäre sicher toll“, sagte Leonardo. Seine Freude hielt sich in Grenzen. Es war nicht das erste Mal, dass sein Vater davon sprach nach Florenz zu ziehen und so erfolgreich in seinem Beruf als Notar zu werden, dass er Geld genug für alles hatte, was man sich
wünschen konnte. Aber bisher war es immer so gekommen, dass
irgendetwas einen Strich durch seine Pläne gemacht hatte.
„Du glaubst es nicht wirklich, oder?“, erkannte Ser Piero sofort.
„Du denkst, dass das alles nur Fantasien sind und noch nichts davon wirklich unter Dach und Fach ist.“
„Großvater sagt immer, man soll den Tag nicht vor dem Abend
loben“, erwiderte Leonardo.
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„Ach, der Großvater! Ich sage dir eins: Dein Großvater ist hier in Vinci geboren und er wird auch hier in Vinci sterben! Aber ich nicht!
Ich werde es schaffen, hier herauszukommen in die große Welt.“
„Nach Florenz.“
„Florenz ist die große Welt, mein Sohn! Das ist die Stadt, um die sich alles dreht und wir wohnen so nah an ihr dran…“
„Ich könnte dort sowieso nicht auf die Universität gehen, weil ich nicht auf einer Lateinschule war“, sagte Leonardo mit etwas bitterem Unterton. „Und bis es soweit ist, und sich deine Pläne verwirklichen und du wirklich reich geworden bist, wird es für mich zu spät sein, um noch eine Lateinschule besuchen zu können.“
„Noch bin ich ein armer Notar auf dem Lande!“, gab Ser Piero zu bedenken. „Aber vielleicht ist eine Schule auch gar nicht der richtige Weg für dich. Du hast doch andere Talente. Schlägst du immer noch Gesichter aus Holzblöcken heraus?“
„Nein, das habe ich aufgegeben“, erwiderte Leonardo.
„Warum? Du warst doch richtig besessen davon!“
„Für eine Weile. Aber es war nicht gut genug, was ich gemacht
habe. Das sah alles so…“ Er schüttelte den Kopf. „Es war Mist!“
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„Aber du hast Talent dazu, mein Sohn! Ich habe dich dabei
beobachtet, wie geschickt du mit den Werkzeugen umgegangen
bist!“
„Es ist nichts Vernünftiges dabei herausgekommen!“
„Weil es dir niemand gezeigt hat! Dieser Mann, für den ich jetzt arbeite, kennt jemanden in Florenz, der eine Werkstatt betreibt. Dort werden sowohl Gemälde hergestellt als auch Bildhauer-Arbeiten.
Noch bist du etwas zu jung, aber wenn du ein paar Jahre älter bist, kann ich dich dort vielleicht unterbringen!“
„Mal sehen“, sagte Leonardo.
„Und noch was! Ich werde demnächst ein zweites Pferd haben!“
„Warum das denn?“
„Der Gutsbesitzer Gabriele di Stefano konnte seine Schulden
nicht bezahlen und so habe ich ein Pferd als Pfand von ihm
bekommen. Ich werde es in den nächsten Tagen abholen und dann
bei deinem Großvater in den Stall stellen. Bei mir ist zu wenig
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