Leonardos Liebesbiss
wurde ihr dies hier zuteil, und sie war sogar in der Lage, es zu genießen. Tanya fühlte sich nicht unbedingt völlig glücklich, aber losgelöst von den Sorgen der Welt, und so glitt sie weiter einem neuen Dasein entgegen.
Leo hielt sein Opfer fest, das er durch den Liebesbiß jetzt zu seiner Braut gemacht hatte. Tanya trat nichts mehr. Sie ließ sich gern halten. Es gab für sie nur diese wunderbaren Hände, die sie nie mehr loslassen würden. Auch im übertragenen Sinne nicht. Sie gehörte jetzt ihm. Er war der Herr, sie die Magd.
Tanya schwebte davon. Mit ihr glitten die Sorgen und auch die normale Welt dahin. Das Licht verschwand, ebenso ihre menschlichen Gefühle. Sie bekam den Druck der Zähne und den der Lippen nicht mehr mit. Der Taumel und Kreisel riß sie tiefer. Dann kippte sie nach unten und tauchte ein in die neue Welt. Leo kannte das Spiel. Das Erschlaffen des Körpers zeigte ihm an, daß er nun seine Lippen von ihrem Hals lösen konnte. Er hatte getrunken, er war satt. In ihrem Körper befand sich so gut wie kein Tropfen Blut mehr. Das sprudelte jetzt in seinem, und es hatte ihn verdammt stark gemacht.
Er stand auf. Seine Braut hatte er dabei festgehalten. Wie ein Kind trug er sie auf den Armen, als wäre sie leicht wie eine Feder. Im Schein der Kerzen bewegte er sich auf einen dunklen Gegenstand zu. Es war eine Liege, über deren schwarzen Bezug das warme Licht seinen Flackerschein warf.
Als bestünde der Körper aus Porzellan, so behutsam legte ihn der Vampir nieder. Ein letzter Blick, danach richtete er sich auf und nickte.
Leo Frost war zufrieden. Tanya war genau das, was er gebraucht hatte. Sie würde bei ihm bleiben und mit ihm den weiteren Weg gehen. Sein Plan stand fest. Er wollte und würde auch Zeichen setzen, daran konnte ihn niemand hindern. Er war stark, er war sogar stärker als die Menschen, und er würde es ihnen zusammen mit Tanya zeigen.
Um seinem Mund lag noch ein dünner Blutfilm. Mit geschickten Bewegungen der Zunge leckte er ihn weg, so daß er auch den letzten Tropfen zu sich nahm.
Die Nacht war bereits gekippt. Der neue Tag war angebrochen. Frost wußte genau, daß seine neue Braut noch vor dem Morgengrauen erwachen würde. Dann wollte er mit ihr reden und sie auf ihre neue Aufgabe vorbereiten. Es war ein langer Winter gewesen. Er neigte sich seinem Ende zu. Bald würde der Frühling seine ersten Vorboten schicken, und dann begann wieder sein berufliches Leben.
Frost freute sich. Er kicherte. Er rieb dabei seine Hände. Nur er wußte genau, wer er war. Einerseits ein Vampir, andererseits ein Mensch.
Aber ein besonderer. Er war ein Albino. Er war aus einer Laune der Natur heraus erstanden. Wer ihn sah, war überrascht und bekam es manchmal mit der Angst zu tun. Gut, er sah nicht harmlos aus, aber niemand kannte sein wahres Gesicht.
Jetzt fühlte sich Leo gut und auch sehr satt. Mit müde wirkenden Schritten ging er wieder auf seinen Platz zu und ließ sich dort nieder. Es war der Stuhl, der genau vor dem Spiegel stand. Frost schaute hinein. Er hätte sein Gesicht und auch einen Teil des Oberkörpers sehen müssen, doch er sah nichts. Nicht einmal der Umriß malte sich ab. In seiner zweiten Existenz waren gewisse Gesetze eben aufgehoben.
Er mußte warten. Er hatte Zeit. Er würde ebenfalls eine Veränderung durchmachen und allmählich wieder zu dem werden, der er in seiner ersten Existenz war.
Leo, der Albino!
Er schüttelte sich, wenn er daran dachte. Er wußte selbst, daß er nicht so aussah wie die Masse der Menschen. In seiner ersten Existenz hatte er sich hassen gelernt, denn er war immer verspottet worden. Man hatte ihn ausgelacht. Man war vor ihm weggelaufen. Schon als Kind hatte man ihn nicht gemocht. In ihm hatten die anderen immer etwas Böses gesehen. Er hatte ihren Haß und ihren Spott zu spüren bekommen, und dies hatte sich in sein Inneres hineingefressen wie eine gefährliche Säure.
Warum bin ich so? hatte er sich immer wieder gefragt und auch bald einen Schuldigen gefunden. Oder zwei Schuldige. Es waren seine Eltern gewesen. Seine Mutter, die ihn geboren, und sein Vater, der ihn gezeugt hatte.
Sie trugen die Schuld.
Er hatte sie getötet.
Ihr Ferienhaus angezündet, in dem sie Urlaub gemacht hatten. In einer stockdunklen Nacht war er zu ihnen gekommen. In ihren Betten liegend hatte er sie gefunden und sie beide bewußtlos geschlagen. Dann hatte er die verdammte Hütte angezündet. Wie Zunder hatte sie gebrannt. Noch heute – Jahre später –
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