Leonardos Liebesbiss
sehen. Es war ein Asiat, und er war ihr völlig fremd. Zu den Schaustellern gehörte er nicht. Er schlich als Exot durch das Gebiet der abgestellten Wohnwagen und war bestimmt auf der Suche nach Beute.
Soweit wollte Tanya es nicht kommen lassen. Sie gab ihre Zurückhaltung auf und sprach ihn an. »He, was suchen Sie da?«
Der Mann hatte sich perfekt in der Gewalt. Er schrak nicht einmal zusammen, als er die Stimme hörte. Dafür antwortete er mit einer Gegenfrage. »Wer sind Sie?«
»Ich lebe hier.«
»Ach.«
»Und Sie bleiben draußen, Mister.«
»Ich wollte eigentlich zu Leo.«
»Das kann ich mir denken, aber Leo ist auf der Geisterbahn. Verdammt noch mal, die Ausreden kannst du dir sparen. Hau endlich ab, hier gibt es nichts zu holen. Und wenn dich Leo sieht, macht er dich fertig!«
»Schon gut, Pardon, aber ich wußte nicht, daß Leo mit jemandem zusammenlebt, denke ich mir…«
»Dann solltest du dich zuvor erkundigen.«
»Ich habe Leo lange nicht mehr gesprochen. Ich kenne ihn von früher. Aber wenn Sie sagen, daß ich ihn an der Bahn finde, ist das schon okay. Kann sein, daß wir uns noch sehen. Bis später dann.«
Suko zog sich zurück. Er schloß auch die Tür, und der helle Streifen verschwand.
Tanya hätte sich beruhigt fühlen können, doch in diesem Fall war es anders. Auch wenn es nicht zu einer Konfrontation mit dem Typen gekommen war, so glaubte sie ihm nicht. Sie konnte sich das Erscheinen nicht als einen harmlosen Besuch vorstellen. Da steckte etwas anderes dahinter. Nachdem sie einige Möglichkeiten durchgespielt hatte, gelangte sie zu dem Schluß, daß man ihnen schon auf der Spur war und Leo diesen Mann nicht kannte. Wie ein Bulle hatte er nicht ausgesehen. Er konnte ein Privatdetektiv sein.
Was also tun?
Tanya war ein Vampir, aber sie konnte auch denken wie ein Mensch, und so ging sie schrittweise vor. Sie blieb vor einem der Fenster stehen und zog das Rollo hoch. Es lag an der Seite, an der auch der Fremde aufgetaucht war.
Durch eine schmale Lücke konnte sie nach draußen spähen. Er stand nicht mehr vor der Tür, sondern hatte sich zurückgezogen. Sie bezweifelte, daß er wirklich verschwunden war. Er hatte mehr wie ein Mensch gewirkt, der sich nicht so leicht einschüchtern ließ. Der Wagen war modern eingerichtet. Unter anderem gab es auch ein Telefon, und Tanya wußte, daß Leo sein Handy immer bei sich trug. Sie wählte seine Nummer und hoffte, daß er es auf Empfang gestellt hatte.
Ja, er meldete sich.
»Ich bin es!«
Leo wußte sofort, daß etwas passiert war. »Welchen Ärger hat es gegeben?«
»Noch keinen direkten, Leo, aber da war jemand, der in den Wagen wollte und nach dir fragte. Angeblich ein alter Bekannter von früher her.«
»Wie hieß er?«
»Den Namen kenne ich nicht.«
»Mist.«
»Aber ich kann ihn dir beschreiben.« In den folgenden Sekunden hörte Leo Frost zu, bis er Tanya mit scharf klingender Stimme unterbrach.
»Den kenne ich nicht.«
»Das habe ich mir auch gedacht.«
»Wo ist er jetzt?«
»Weg – glaube ich.«
»Ha, glaubst du?«
»Ich habe ihn zu dir geschickt. Ich sagte, daß er dich an der Geisterbahn finden kann.«
»Dann wird er wohl kommen. Daß etwas an dieser Sache nicht stimmt, sollte dir klar sein.«
»Ist es auch, Leo. Kann man uns denn schon auf der Spur sein? Ist es wohl ein Bulle oder ein Privater gewesen?«
»Ich hoffe nicht.«
»Haben wir Fehler gemacht?«
Auf diese Frage wußte auch Leo Frost keine direkte Antwort. Er schnaufte nur stark und sagte: »Komm zu mir. Im Wagen bist du nicht mehr sicher. Aber gib acht.«
»Mach ich schon.«
»Hast du die Machete?«
»In der Segeltuchtasche.«
»Wir treffen uns dann hier!«
Die Verbindung war unterbrochen. Tanya sank auf einen Stuhl. Das Gespräch mit Leo hatte ihr den Rücken gestärkt. Sie war froh, daß er so dachte wie sie, und sie würde auch seine Ratschläge befolgen. Zunächst schaute sie wieder nach draußen. Diesmal nahm sie sich alle Fenster vor. In das Fahrerhaus wollte sie nicht gehen, sie wußte, daß es der Asiat nicht betreten hatte, denn eine derartige Nähe eines Menschen wäre ihr nicht verborgen geblieben.
Erst als sie alles überprüft hatte, nahm sie die Segeltuchtasche und ging auf die Mitteltür zu. Sie öffnete sie leise und drückte sich ins Freie.
Es war still in der Nähe. Auch ein erster Rundblick verschaffte ihr keine Gewißheit über den Fremden. Der Wind hatte etwas aufgefrischt. In der Nähe flatterten kleine Wimpel an einem Band,
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