Léonide (German Edition)
mit nach Hause nehmen und unters u chen müssen«, sagt er schließlich. Wenn ich Ihren Bruder he u te Nachmittag abhole, werde ich Ihnen sagen können, was die Mischung beinhaltet und was sie bewirkt.«
»Sie sind meine Rettung, Monsieur Gagnier.«
Zum ersten Mal heute sehe ich ihn lächeln und bin erstaunt über die Verwandlung, die sich auf seinem Gesicht vollzieht. »Bitte, Frédéric reicht völlig.«
»Genauso wie Léonide.«
Wieder dieses kaum merkliche Lächeln, das zu erwidern ich nicht umhin kann. Wir geben uns die Hände und verabschi e den uns voneinander. Bevor er geht, wiederholt Monsieur Gagnier – Frédéric – sein Versprechen, das Elixier für mich zu untersuchen.
Ich bin bereits ein gutes Stück die Straße hinuntergegangen, als er mich bei meinem Vornamen zurückruft. Ich drehe mich zu ihm um und schrecke ein paar Tauben auf – sie stieben mit Flügelrauschen und dem Aufblitzen weißer Federn in den Himmel auf.
»Machen Sie sich einstweilen keine Sorgen. Sie haben getan, was Sie konnten, um Willem zu helfen.« Und er geht die Allee entlang davon.
Am Nachmittag hat Willem einen weiteren Anfall. Er tobt so schrecklich, dass wir seine Zimmertür von außen abschließen müssen. Dann hören wir, wie er sich von innen gegen sie wirft, immer und immer wieder, und wie seine Fingernägel über das Holz kratzen. Meine Mutter weint, während mein Vater aus dem Fenster blickt und leise betet.
» Et dimitte nobis debita nostra, sicut et nos dimittimus debitoribus no s tris. Et ne nos inducas in tentationem. Sed libera nos a malo .«
Als Frédéric endlich eintrifft, bin ich erschöpft und meine Nerven zum Zerreißen gespannt. Ehe er meinen Vater au f sucht, nimmt er mich am Arm beiseite. Sein Gesicht verrät keinerlei innere Regung.
»Und?«, frage ich ungeduldig und schäme mich augenblic k lich für meine Unfreundlichkeit.
Frédérics Gesicht entspannt sich. Er reicht mir die Phiole mit Costantinis Arznei.
»Sie müssen sich keine Gedanken machen. Das Medikament ist vollkommen ungefährlich – und wertlos. Darf ich fragen, wie viel Sie Costantini bezahlt haben?«
Ich wäge meine Worte sorgfältig ab und habe dennoch das Gefühl, bei etwas Unrechtmäßigem ertappt worden zu sein. »Ich habe ihm alles gegeben, was ich hatte, aber weniger, als er eigentlich wollte.« Dass ich Costantini um einen Teil des Ge l des betrogen habe, verschweige ich wohlweislich.
»Nun, wie viel es auch immer war, Sie haben Costantini zweifellos zu viel bezahlt. Das ›Elixier‹, das er Ihnen verkauft hat, ist eine billige Mischung aus destilliertem Wasser, Alkohol und einem harmlosen Salz. Schnell und einfach herzustellen und vollkommen wirkungslos.«
Ich starr e Frédéric an. Zu viel bezahlt.
»Dann ist Costantini also genau das, was man sich über ihn erzählt: E in Scharlatan und Halsabschneider«, murm e le ich. Jetzt weiß ich, warum er das Geld nicht nachgezählt hat.
Frédéric nickt. »Es scheint so. Wollen Sie mir etwas verspr e chen? Das nächste Mal, wenn Sie ärztliche Hilfe brauchen, wenden Sie sich direkt an mich. Was Willems Zustand angeht, so hat Costantinis Arznei allerdings keinen Schaden angeric h tet.«
Zum ersten Mal seit Stunden kann ich wieder frei atmen. »Danke, Frédéric. Für alles.«
Er schüttelt nur müde den Kopf. »Ihre Freundschaft wäre mir lieber als Ihr Dank.« Er streckt mir die Hand entgegen. »Was meinen Sie?«
Ich zögere nur einen Augenblick. »Warum nicht?«
Nach unserem Gespräch sieht Frédéric nach Willem, der u n ruhig in seinem Zimmer auf und ab geht und leise vor sich hin flucht. Es ist das erste Mal seit Langem , dass er das Bett ve r lassen hat, und doch ist es kein Grund zur Freude.
Es gelingt Frédéric, Willem so weit zu beruhigen, dass er sich umziehen und nach draußen bringen lässt; als er aber die Droschke erblickt, die für seine Reise nach Saint-Rémy b e stimmt ist, wird er misstrauisch und beginnt wieder , um sich zu schlagen. Frédéric gibt ihm ein Beruhigungsmittel und schafft es schließlich, ihn in die Kutsche zu befördern. Ich fi n de es unerträglich, mit ansehen zu müssen, wie mein Br u der willenlos gemacht wird, obwohl es der einzige Weg ist.
Meiner Mutter fällt der Abschied am schwersten. Sie steht lange am Kutschfenster und betrachtet Willem, der teilnahm s los auf seinem Platz sitzt . Nachdem Frédéric dem Kutscher se i ne Anweisungen gegeben hat, wendet er sich an uns.
» Au revoir , Monsieur, Madame.« Zuletzt sieht
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