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Léonide (German Edition)

Léonide (German Edition)

Titel: Léonide (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Schaefer
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Bruders so ve r wirrt ist, dass es nicht mehr weiß, was Wirklichkeit ist und was nicht?
    Ich umarme meine Tante ein letztes Mal. »Danke – für alles.«
    Adélaïde winkt ab und küsst mich auf die Wangen. »Da gibt es nichts zu danken.« Sie senkt ihre Stimme zu einem Flüstern und legt ihre Lippen an mein Ohr. »Pass gut auf deinen ju n gen Mann auf.«
    Ich spüre, wie mir die Hitze ins Gesicht steigt, doch meine Tante lächelt nur. › Mein ‹ junger Mann verstaut unser Gepäck, und schon sitzen wir in der Droschke und fahren polternd an. Ich stecke den Kopf aus dem Fenster und winke meiner Ta n te, während wir über das raue Kopfsteinpflaster fahren und sie zu einem Punkt am Ende der Straße wird.

DRITTER TEIL
    Blutroter Fels
     
     
    Draußen ist es traurig, die Felder eine Lehmgrube aus Klu m pen von schwerer Erde und ein wenig Schnee; die Tage mei s tens mit Nebel und Schmutz; morgens und abends die rote Sonne, Krähen und verdorrtes Gras und verwelktes, fa u lendes Grün, schwarze Gebüsche und die Zweige der Pappeln und der Weiden scharf wie Draht gegen die traurige Luft.
     
    VINCENT VAN GOGH
    an Theo van Gogh, Nuenen, Januar 1885

Sternennacht
     
     
    Roussillon, Oktober 1888
     
    W
    ir stehen am Rand eines roten Felsens und b e trachten die weite, grüne Landschaft unter uns, die den Eindruck eines wilden, feuchten Urwalds erweckt. Üppige Farne streicheln den mit einem dic h ten Teppich aus Tannennadeln bedeckten Boden, und ve r narbte Bäume, die die Wirrungen der Zeit seit Anbeginn allen Lebens beobachtet haben, berühren mit ihren Ästen den leuchtend blauen, wolkenleeren Himmel. In unserem Rücken liegt Roussillon, errichtet aus rosé- und ockerfa r benem Stein. Die Luft ist klar und frisch und duftet nach Holzrauch und Pinien. Trotz der herbstlichen Jahreszeit ist es noch immer erstaunlich warm, sodass meine Haut unter dem groben Baumwollstoff meines Kleides brennt.
    Wir sind um die Mittagszeit in Roussillon angekommen, h a ben das Gepäck in unserer Unterkunft – einer einfachen Pe n sion am Dorfrand – abgeladen und einen Imbiss aus Baguette, K ä se und Trauben zu uns genommen. Danach haben wir uns aufgemacht, um den Ort zu erkunden.
    »Das rote Dorf«, murmelt Frédéric. Der Wind fährt durch sein dunkles Haar und hinterlässt es noch ungeordneter, als es ohnehin schon ist. » Vicus russulus . So nannten die Römer di e sen Ort. Sie haben hier Ocker abgebaut und ihn als Ro h stoff zur Herstellung von Farben benutzt.«
    Auf der anderen Seite des Dorfes erstrecken sich sanft abfa l lende Weinberge. Dort, im goldenen Herbstlicht, fahren die Weinbauern ihre Ernte ein. Es ist ein stilles Bild wie ein G e mälde – die fleißig arbeitenden Männer in ihrer einfachen, schmutzigen Kleidung, die Hemdsärmel über die Ellbogen hochgerollt, als Schutz gegen die Sonne nichts als dunkle Mü t zen auf den geduckten Köpfen. Sie sammeln die Traube n früchte in großen Bottichen und Körben.
    »Lassen Sie uns zuerst in die Ortskirche gehen«, sage ich zu Frédéric. Wo sonst, wenn nicht an dem Ort aus meinem Traum, soll ich meine Suche beginnen?
    Wir machen uns auf den Weg in den Ortskern, und schon bald kommt die Kirche mit ihrem Glockenturm in Sicht. Frédéric hat es den Weinbauern gleichgetan und seine Hemd s ärmel hochgerollt . D ie feinen Härchen auf seinen Untera r men wirken im Licht der Sonne beinahe durchsichtig.
    Wir betreten die Kirche durch das kleine Portal. Die Luft ist kühl und riecht nach Weihrauch. Ich erkenne die Gemälde an den Wänden sofort wieder und bin erstaunt, wie deu t lich mir mein Traum noch vor Augen steht. Beinahe erwarte ich, Wi l lem auf einer der Kirchenbänke sitzen zu sehen, doch da ist niemand. Die Kirche ist leer, Frédéric und ich sind allein. U n sere Schritte hallen als gespenstisches Echo von den Wänden w i der.
    Ich halte auf eine Wand zu, auf der ich das Gemälde von Michael und Luzifer vermute, doch als ich davortrete, erkenne ich das Gemälde nicht wieder. Man hat es mit einem anderen Bild vertauscht, das mir bekannt vorkommt, obwohl ich es, da bin ich mir sicher, noch nie gesehen habe.
    Dann aber trifft mich die Erkenntnis wie ein Blitz. Ich trete näher heran, um mich davon zu überzeugen, dass sie nicht nur meiner Einbildung entspringt, doch es besteht kein Zweifel. Die dynamische Strichtechnik, die sich in charakteristisch g e schwungenen Linien äußert, die Auswahl der Kontraste und des Motivs, die dick aufgetragene Farbe …
    Das Bild stammt

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