Léonide (German Edition)
Als sich die Hände z u rückziehen, hinterlassen sie nichts als brennende Leere, die mich aufzuzehren droht. Ich kann mich nicht bewegen, fühle, wie meine Kräfte sich in Nichts auflösen. Mein Geist schwebt irgendwo in dem leuchtenden Raum über mir.
Dann schwarze Flammen, züngelnd und leckend wie wilde, tobsüchtige Tiere, Schaum vor den Mündern und rote Augen, und diese Blicke, dunkel und sehnsüchtig, von einer brenne n den Sonne und innerer Leere zerfressen wie ein kariöses G e biss.
»Die Sonne«, stöhne ich. »Wie sie brennt! Sie verbrennt mich! Die Farben … das Licht … das Feuer!«
Ich spüre, wie mir die Sinne schwinden. Worte auf erla h menden Lippen, meine Stimme, die fremd, fast raubtierhaft klingt. Ich greife mir an die Stirn und in die Haare, ziehe an den Strähnen, getrieben von seiner Stimme, die mich kennt, die alles kennt, was ich gewesen bin und sein werde. Ich kann nichts vor ihr verheiml i chen.
»Die Augen! Große, runde, leere Augen, jedes davon eine Seele . Ich muss sie ihm geben, er braucht sie, braucht meine Augen, die Spiegel meiner Seele . «
Dann wird es still, so still, keine einzige Stimme, die das Misstrauen durchschneidet, das in der Luft liegt. Meine Knie knicken ein, betäubt von der Flüssigkeit, die man mir eing e flößt hat. Nichts als einen Wirbel aus Lichtern und Farben. Ein Klirren, ein dumpfer Aufprall, danach ein samtschwarzes, tiefes Nichts, das sich endlos vor mir ausbreitet. Ich lasse mich mitreißen, treibe auf einer kühlen, glatten Oberfläche dahin, ehe ich in die Finsternis hinabtauche.
Dort bleibe ich sehr lange.
Die Dunkelheit hat eine Stimme. Sie singt, klagt und wispert mal verlockend, mal angsteinflößend. Sie nennt sich Thanatos. Manchmal, wenn ich nicht aufpasse und mich zu sehr treiben lasse, bleckt sie die Zähne und fügt mir rasende Schmerzen zu. Sie hat keine Gestalt und tritt mir in immer wechselnden Ve r kleidungen entgegen, mal eine Frau aus Schatten und Nebel, mal ein Kerberos mit drei Köpfen, rot glotzenden Augen und einem Schlangenschwanz.
Manchmal, in immer kürzer werdenden Zeitabständen, wird die Finsternis von einem Feuer abgelöst, das sich rasend in meine Richtung ausbreitet. Das Feuer hat lange, rote Zungen, die an meiner Haut lecken, bis ich den Geruch nach verbran n tem Fleisch und Haar in der Nase habe. Obwohl ich zu schre i en versuche, dringt kein Laut zwischen meinen Lippen hervor. Das Gefühl ähnelt einer Hand, die sich auf meine Lippen presst, oder dem Gefühl unter Wasser, wo alles Stille, schw e bende Dunkelheit und Einsamkeit ist.
Die Flammen wüten wie tollwütige Tiere, Schaum vor ihren Mäulern und den spitzen, roten Zähnen, die mich zerreißen. Ich spüre, wie mein Geist davonschwebt. Die Flammen tosen, bis nichts als ein Flackern in dunklen Weiten von ihnen übrig ist. Dann umfängt mich die Stille, ich schwebe über meinem Leib, nicht wissend, ob ich lebe oder tot bin.
Plötzlich erscheint eine geisterhafte, weiße Gestalt vor me i nen Seelenaugen, und ich erkenne die Umrisse einer Frau, Arme und Hände schmal wie zerbrechliche Äste. Sie sieht aus wie eine Nymphe oder eine Fee, das Haar ein Kranz aus Nebel und Licht und Augen, die in tiefem Feuer glimmen. Ich weiß nicht, ob ich sie anbeten oder fürchten soll, diese wunde r schöne, kalte Gestalt, Haut, die mit einem Hauch von Silber überzogen ist und wie Tau auf den Fäden eines Spinnennetzes schimmert. Sie streckt ihre Hände nach mir aus.
»Léonide«, sagt sie, klirrenden Frost auf den Zügen. »Ich bin Hypnos. Ich bin gekommen, um dir zu helfen. Hör meine Stimme, damit ich dich zurück ins Licht bringen kann.«
Ihre Berührung ist so angenehm, ihre Stimme so weich, dass der Schmerz meines menschlichen Körpers wie ausgelöscht ist. Vor meinem inneren Auge entstehen Bilder in berausche n den Farben: glühendes Sonnenlicht, der Duft nach Lavendel, Zedernholz und geschnittenem Gras. Sie atmet zitternde, ze r brechliche Träume, die im Inneren schimmernder Blasen d a rauf warten, durchlebt zu werden.
Ich reiche Hypnos’ in gleißendes Licht getauchten Gestalt die Hand. Sie führt mich aus der Finsternis hinaus auf einen Weg, der in der brütenden Hitze eines Sommertages schwelt. Auf den glühenden Steinen liegen Eidechsen, die sich im gle i ßenden Licht sonnen. Wir schweben über den Pfad wie Blä t ter, die vom Wind davongetragen werden.
Am Ende des Weges bleibt Hypnos stehen. Ihr Blick ist wie die See, verträumt und
Weitere Kostenlose Bücher