Léonide (German Edition)
begreife ich schlagartig, weil er fürchtet, dass ich vor ihm und seiner Berührung zurückweichen könnte. Doch das tue ich nicht.
Seine Augen, früher so voller Entschlossenheit, nun erfüllt von der Sehnsucht nach etwas Unerreichbarem, vielleicht Ve r lorenem. Ist es vorbei? Die Hoffnung, das Vertrauen … vo r bei?
»Du hattest einen schlimmen Anfall«, sagt Frédéric, ohne mich aus den Augen zu lassen. Er kommt einen Schritt näher ans Bett und legt mir die Hand auf die Stirn. »Du hast immer noch Fieber. Erinnerst du dich an das, was passiert ist?«
Ganz der Arzt. Keine Regung mehr in seiner Stimme, seine Gefühle vor mir verschlossen.
»Ich weiß, wer du bist.« Ich bemühe mich, meine Stimme gleichmütig klingen zu lassen, doch sie lässt mich im Stich. Dennoch, die Worte sind ausgesprochen.
Frédéric nimmt die Hand von meiner Stirn und fixiert mein Gesicht. In seine Iris tritt ein dunkles, fast bedrohliches L o dern – Flammen, die mich verbrennen, obwohl sie mich nicht berühren. Dennoch fürchte ich sie nicht. Ich kann sie nicht fürchten, weil das so wäre, als würde ich mich vor mir selbst fürchten oder vor der dunklen Seite des Mondes.
»Wer, glaubst du, bin ich?«, fragt Frédéric mit schmalen, we i ßen Lippen. Wut jetzt, gepaart mit et was anderem, das ich nicht defi nieren kann, weil er es vor mir verschließt. Er ist wie ausgetauscht. Trotzdem: K ann dieser Mann tat sächlich der sein, den ich über alle Maßen fürchte?
Ich flüstere den Namen, das harte C, das sehnsüchtige S, das singende I. Obwohl ich den Namen des Mannes, den ich ve r folgt habe und der nun mich verfolgt, hasse, entgeht mir nicht die Schönheit des Wortes. Eine Schönheit, die unter einer ha r ten Oberfläche verborgen liegt wie ein Geheimnis.
»Du glaubst, ich bin Costantini?« Frédérics Stimme ist kalt wie Schnee, der leise zu Boden fällt. »Glaubst du das wirklich, Léo? Ich bin es doch und niemand sonst . «
»Woher soll ich wissen, dass du die Wahrheit sagst?«
Ein tiefes Atemholen. Frédéric blickt mich an, ohne mich wahrzunehmen . Stattdessen scheint er jemand anderen zu s e hen, irgendwo in weiter Ferne. Dort, umgeben von kaltem Licht, steht sie. Er tritt neben sie, um ihre weiße Hand zu b e rühren und sie ein letztes Mal bei sich zu spüren: Camille.
»Ich werde nicht zulassen, dass du so endest wie sie«, sagt er. »Du bist schwer krank, Léo – krank, wie dein Bruder es war, kurz vor seinem Tod. Verstehst du, was ich sage? Costantini ist nicht hier, er kann dir nichts tun, einzig und allein in deinem Kopf kann er dir gefährlich werden . Bitte, Léo – vertrau mir. Du hältst mich für Costantini, dabei bin ich Frédéric, dein Frédéric, der, der ich immer sein werde.«
Ich sage nichts. Meine Angst, das begreife ich jetzt, ist nie etwas anderem als meiner Hilflosigkeit entsprungen. Das Feindbild, dem ich hinterherjage, habe ich mir selbst erscha f fen.
»Ich sehe, das du leidest«, sagt Frédéric und beginnt, im Zimmer auf und ab zu gehen, während er sich ununterbr o chen durch die Haare fährt. »Ich weiß nicht, was ich tun soll. Bitte, Léo … Bitte, sag mir, was ich tun soll.« Er ist so in G e danken versunken, dass er nicht mit mir, sondern mit sich selbst zu sprechen scheint.
»Ich glaube nicht, dass es in deiner Macht steht, irgendetwas gegen das zu tun, was mit mir geschieht. Frédéric, ich habe dich gesehen … Du hattest Costantinis Gesicht, seine A u gen, seine Stimme . «
Frédéric weicht mir nicht aus. Stattdessen setzt er sich zu mir ans Bett und betrachtet die Kratzer und das g e trocknete Blut auf meinen Handflächen. Meine Worte hallen in meinen O h ren wider, kühl und hart, und ich schäme mich, schäme mich dafür, dass ich ihn verletzt habe , ganz gleich, wer er ist.
»Begreifst du es nicht? Er versucht, dich zu zerstören, uns auseinanderzutreiben . Er schadet dir, auf welche Weise auch immer. Es ist wichtig, dass du dich gegen seinen Einfluss wehrst. Nun aber sehe ich, dass du das nicht tust … vie l leicht nie getan hast.«
Als ich ihm antworte, klingt meine Stimme hohl, selbst in meinen Ohren. Die Stimme einer Fremden. »Er ist das Böse, Frédéric. Ich versuche, mich zu wehren, aber ich komme nicht gegen ihn an.«
»Das Böse.« Obwohl er sich Mühe gibt, seine Stimme neutral klingen zu lassen, bemerke ich die Mischung aus Unglauben und leiser Verachtung, die darin mitschwingt. »Du meinst den Teufel? Satan? Luzifer? Ich hätte nicht gedacht, dass
Weitere Kostenlose Bücher