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Léonide (German Edition)

Léonide (German Edition)

Titel: Léonide (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Schaefer
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trügerisch.
    »Den Rest des Weges musst du allein gehen. Ich kann dich nicht in deine Welt begleiten, genauso wenig wie du in meiner bleiben kannst. Irgendwo dort draußen wartet sie auf dich, diese Welt, in die ich nicht gehöre. Pass auf dich auf und ve r giss nicht, was ich dir gesagt habe: Ich und die Traumbilder, die ich schaffe, gehören in eine andere Welt, nicht aber in die Welt des Wachens. Vergiss nicht, zu träumen, vor allem aber sei wachsam. Du darfst dich nicht in meiner Welt verlieren.«
    Dann lässt sie meine Hand los. Die angenehme Schmerzl o sigkeit löst sich langsam auf. Ich werde an einer dünnen Schnur zurück in meinen Körper gerissen, der ausgebrannt, wie eine leer stehende Behausung in der Dunke l heit liegt. In meiner Kehle brennt ein Atemzug. Ich reiße die Augen auf und schwimme in einem Malstrom aus Farben, flüssiger Mat e rie und Licht, grell und schmerzhaft. Meine Glieder sind schwer, meine Lippen wortlos.
    Dann verschwindet der Strudel, und ich schieße durch die spiegelglatte Oberfläche nach oben, dem Licht entgegen.
     
    Die Luft prickelt in meiner Kehle, als ich tief und langsam einatme. Ich friere, obwohl mich brütende Wärme umgibt und mein Kopf glüht, als stünde er in Flammen. Mein Körper fühlt sich an, als hätte man ihn mit Laudanum oder einem a n deren starken Mittel betäubt. Als ich versuche, meine Finger zu bewegen, krampfen sie sich nur widerwillig in die Bettd e cke, unter der ich liege.
    »Du bist wach.«
    Ich kenne die Stimme gut. Als ich die Augen öffne und g e gen das gleißende Licht anblinzle, weiß ich für einen Auge n blick nicht, wo ich mich befinde. Über mir schwebt ein G e sicht, das ich für einen Moment lang für das von Hypnos ha l te, obwohl ich weiß, dass sie mir nicht in meine Welt folgen kann. Die Erinnerung, die nur einen Sekundenbruchteil später meine Gedanken flutet, zieht mich unter eine glatte, glänzende Oberfläche, wo es dunkel ist und kalt.
    Frédéric und Costantini, ein und derselbe. Er hat meinen Bruder in den Tod getrieben, und ich habe ihm vertraut, mich ihm mit Leib und Seele hingegeben, ihn sogar geliebt. Ich kann es nicht glauben, und doch gibt es keine andere Erkl ä rung. Nun begreife ich auch, warum Frédéric mich immerzu davon hat überzeugen wollen, dass Costantini einzig und allein meiner Vorstellung entspringt. Natürlich hat er ein Spiel mit mir gespielt.
    Und doch … Irgendein Teil von mir begehrt laut auf, we i gert sich, das Offensichtliche zu glauben. Ich denke an Frédérics warme, braune Augen, an sein sorgenvolles Gesicht. Er, der er mir seine gesamte traurige Lebensgeschichte erzählt hat – er soll mich hintergangen, mir nur etwas vorgemacht h a ben?
    Offensichtlich hat er das. Was willst du jetzt tun? Dir Ausreden für ihn ausdenken? Dir selbst etwas vormachen und nach Unschuldsbeweisen suchen, die belegen, dass er es nicht gewesen sein kann?
    Nein. Ich versuche, die Stimme wie eine lästige Fliege for t zuwischen. Sie verstummt tatsächlich, aber ich werde das G e fühl nicht los, dass nicht ich dafür verantwortlich bin. Irge n d etwas ist nicht richtig, ganz und gar nicht richtig.
    Das vertraute Gesicht über mir schwebt in einem Meer aus Licht, das durch die Fenster ins Zimmer dringt. Als sich meine Augen an die gleißende Helligkeit gewöhnt haben, erke n ne ich es – ihn . Frédéric. In meinem Inneren kämpfen zwei Seelen – die eine will ihn weiterhin lieben und ihm Glauben sche n ken, die andere weigert sich, sich von ihm in den A b grund treiben zu lassen, wohl wissend, was sich dort verbirgt.
    Ich setze mich auf und erkenne, dass ich mich in unserer Unterkunft in Cassis befinde. Im selben Augenblick wird mir klar, dass ich nicht davonlaufen will. Nicht vor Frédéric. Ganz gleich, was er ist – was er meinem Bruder und mir angetan hat   – ich werde nicht fliehen. Nicht vor ihm.
    »Ich bin froh, dass du wach bist.«
    Die Stimme klingt heiser, erschöpft. Das Gesicht taucht aus dem Lichtkegel, weich und müde, die Augen rot gerändert und dunkel umschattet, das Feuer, das sonst in ihnen brennt, erl o schen. Frédérics Lippen sind spröde und blutig, als hätte er sie zerbissen. Sein wirres Haar hat seinen dunklen Glanz verl o ren   – stattdessen wirkt es stumpf, beinahe grau, als wäre er inne r halb kürzester Zeit um mehrere Jahre gealtert.
    Ist er das denn nicht?
    Frédéric streckt die Hände nach mir aus, in seinem Blick brennt die Mutlosigkeit – Mutlosigkeit deshalb, das

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