Léonide (German Edition)
de Flore herumgetri e ben und Absinth getrunken. Liest du Baudelaire? Er sagte, Absinth sei ein Zaubertrunk, der des Lebens dunkle Tiefen aufhelle und ihm eine feierliche Färbung gebe.«
Der Kellner kehrt mit einem Tuch über dem Arm zu uns z u rück. » Un café au lait , une fée verte .« Er stellt mir den Kaffee vor die Nase, ehe er den Absinth für Frédéric zubereitet. Er pla t ziert Zucker auf einem Absinthlöffel und träufelt langsam Wasser darüber, sodass sich die Flüssigkeit milchig ei n trübt.
»Madame, Monsieur.« Er verbeugt sich, ehe er sich rasch an einen der anderen Tische entfernt.
Frédéric zieht die Augenbrauen hoch. »Madame?«
Ich spüre, wie mir das Blut in die Wangen schießt und ärgere mich über mich selbst. Frédéric zündet sich eine Zigarette an und nimmt gedankenverloren ein paar Züge, ehe er sie wieder ausdrückt. Ich nippe an meinem Kaffee.
»Woran denkst du?« Frédéric massiert mit dem Daumen die Nasenwurzel, als hätte er Kopfschmerzen.
Ich ahne, dass Frédéric die Antwort schon kennt. »Costant i ni.«
Er leckt sich die Lippen, seine Zunge hinterlässt eine feuchte Spur auf der spröden Haut. Er zündet er sich eine zweite Z i garette an, als br ä uchte er nun doch etwas, woran er sich fes t halten kann. Seine Augen sind zwei glühende Kohl e stücke. Den Zigarettenrauch ausstoßend sagt er: »Es wird eine Zeit lang dauern, bis die Wunden, die der Tod deines Bruders dir zugefügt hat, zu Narben verheilt sind. Bis der Gedanke an Costantini, der dich so beschäftigt, verstummt ist.«
»Ich weiß nicht, ob ich die richtige Entscheidung treffe«, g e be ich zu. »Ich war auf der Suche nach Antworten, ohne we l che gefunden zu haben. Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Wer ist Costantini? Was ist er, und warum verfolgt er mich? Weshalb kann ich ihn und Willems Tod nicht einfach vergessen?«
Frédéric nimmt meine Hand. »Weil der Tod jeden von uns prägt. Weil es ohne Schmerz kein Glück gibt. Weil du erst ve r gessen kannst, wenn du loslässt, und noch nicht bereit bist, all das hinter dir zu lassen. Es geht nicht darum, wer oder was Costantini ist und warum er dich verfolgt. Es geht darum, dass dir bewusst wird, dass er keine Gefahr für dich darstellt. Er hat keine Macht über dich. Ich bin mir sicher, dass du das Richtige tust, Léo.«
Wie gern würde ich Frédérics Erklärungen Glauben sche n ken. Wie gern würde ich losgelassen, nie wieder zurückbl i cken und alles, was geschehen ist, vergessen, auch Willems Tod. Dann aber würde ich auch sein Leben vergessen, würde seine Existenz verleugnen, ihn verraten.
»Du glaubst nicht, dass Costantini tatsächlich existiert, nicht wahr?« Vor meinem inneren Auge erscheint eine Reihe u n deutlicher Bilder. Meine erste Begegnung mit Costantini, der mir das wirkungslose Elixier für meinen Bruder aushändigt; Willem, der sich das Auge aussticht und von einer Heims u chung durch Costantini spricht; das Erlebnis auf dem Markt in Beaucaire; die Dinge, die in Roussillon über mich hereingebr o chen sind; Les Baux und tiefblaue, starrende Augen.
Frédéric nimmt einen Zug von seiner Zigarette. Als er die Luft wieder ausstößt, quillt mürber Rauch aus seinem Mund wie zäher Nebel. Er streicht mit den Fingerspitzen über meine zerkratzte Handfläche. Es ist eine sachte Berührung, doch sie durchzuckt mich kalt. Merkwürdig.
»Natürlich glaube ich, dass er existiert.« Seine Stimme klingt weich wie Zigarettenrauch. »Wie sonst sollte ich mir die G e schichten erklären, die über ihn im Umlauf sind? Oder das Elixier, das er dir ausgehändigt hat? Der Punkt, Léo, ist: Costantini ist nicht der, für den du ihn hältst. Er mag ein Scharlatan sein, doch er ist weder gefährlich noch ein Teufel, der einen Pakt mit deinem Bruder geschlossen, ihn in den Tod getrieben hat und nun hinter dir her ist. Ich will nicht sagen, dass er dich nicht verfolgt – ich bin mir sicher, das tut er, aber eben als Gedanke in deinem Kopf, der nur Macht über dich hat, solange du ihm diese Macht einräumst und an ihn glaubst.«
Obwohl Frédéric es nicht ausspricht, weiß ich, was er eigen t lich sagen will: Mein Leiden ähnelt jenem, das mir Willem g e nommen hat. Alles, was ich erlebt habe oder erlebt zu haben glaube, entspringt meinem Unterbewusstsein: Costantini, der mich bis in meine Träume verfolgt, seine unerklärliche Verjü n gung, seine übermenschlichen Fähigkeiten, seine Stimme, die zu mir spricht, das Erscheinen meines
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