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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Hals. Und mehrere in beiden Handflächen. Wie von der Spitze eines Skistocks. Sie haben ihn zuerst gefunden, nicht wahr?«
    »Mag sein«, sagte Harry.
    »Die Wunde am Hals hat geblutet. Sein Herz muss noch geschlagen haben, als er sich diese Wunde zugezogen hat. Ziemlich kräftig sogar. Es sollte eigentlich möglich sein, einen so quicklebendigen Mann rechtzeitig auszugraben. Sie haben Ihre Priorität aber bei Kaja gesetzt, nicht wahr?«
    »Tja«, sagte Harry. »Ich glaube, Kolkka hatte recht.« Er kippte den Rest seines Kaffees in den Schnee. »Man muss sich für eine Seite entscheiden.«
    Um drei Uhr fanden sie die Schneescooterspur etwa einen Kilometer von der Abrisskante der Lawine entfernt, zwischen zwei riesigen, zahnförmigen Felsblöcken, die einen gewissen Windschutz boten.
    »Sieht so aus, als hätte er hier geparkt«, sagte Harry und deutete auf den Rand der Spur, an dem die Abdrücke der Gummiränder zu erkennen waren. »Der Scooter hatte Zeit, in den Schnee einzusinken.« Er fuhr mit dem Finger über einen Streifen in der Mitte der linken Kufenspur, während Bellman den lockeren Neuschnee herausfegte.
    »Stimmt«, sagte er und zeigte nach vorn. »Hier hat er gedreht und ist dann in Richtung Nordwesten weggefahren.«
    »Wir nähern uns den Spalten, und es schneit stärker«, sagte Harry, blickte zum Himmel hoch und holte sein Telefon heraus. »Wir müssen im Hotel anrufen und einen Guide mit Schneescooter anfordern, der sich hier auskennt. Verdammt!«
    »Was denn?«
    »Kein Netz. Wir müssen zurück zum Hotel.«
    Harry sah auf das Display. Noch immer wurde die Nachricht der ihm vage bekannten Nummer angezeigt, die nur aus seltsamen Geräuschen auf seiner Mailbox bestand. Die letzten drei Ziffern, verdammt, woher kannte er die? Und plötzlich machte es Klick. Ermittlergedächtnis. Die Telefonnummer lag in der Mappe der Personen, die im Laufe der Ermittlungen als verdächtig angesehen worden waren. Sie stand auf einer Visitenkarte.
    Mit der Aufschrift Tony C. Leike, Unternehmer. Harry hob langsam den Blick und sah Bellman an.
    »Leike lebt.«
    »Was?«
    »Auf jeden Fall sein Telefon. Er hat versucht, mich anzurufen, als wir in der Hävasshütte waren.«
    Bellman erwiderte Harrys Blick, ohne zu blinzeln. Schneeflocken legten sich auf seine langen Wimpern, und die Pigment flecken auf seiner Haut schienen aufzuleuchten. Seine Stimme war leise, fast flüsternd: »Die Sicht ist doch gut, finden Sie nicht, Hole? Und es hat auch aufgehört zu schneien.«
    »Verdammt gute Sicht«, antwortete Harry. »Und nicht ein verdammtes Schneeflöckchen weit und breit.«
    Er sprang auf, da war der Scooter bereits angefahren.
    Sie bewegten sich ruckweise in kleinen Etappen vorwärts. Nie mehr als hundert Meter auf einmal. Peilten die vermutliche Route an und fuhren weiter, legten die Spur mit dem Besen frei und rückten vor. Der Strich in der linken Kufenspur, vermutlich eine Unfallfolge, bestätigte ihnen, dass sie dem richtigen Scooter folgten. In manchen Talsenken oder auf windausgesetzten Kuppen war die Spur so gut zu erkennen, dass sie schneller vorwärtskamen. Aber auch nicht allzu schnell, Harry hatte schon zweimal warnend darauf hingewiesen, dass sie einem Abgrund viel zu nahe gekommen waren. Es ging langsam auf 16 Uhr zu. Bellman schaltete die Scheinwerfer ein und aus, je nachdem wie viel Schnee fiel. Harry studierte die Karte. Er wusste nicht wirklich, wo sie sich befanden, nur dass sie sich weiter und weiter von Ustaoset entfernten. Und dass es bald dunkel sein würde. Ein Drittel Harry sorgte sich wegen des Rückwegs, was allerdings bedeutete, dass diese Frage den restlichen zwei Dritteln vollends egal war.
    Um halb fünf verloren sie die Spur.
    Das Schneetreiben war inzwischen so dicht geworden, dass sie kaum mehr etwas sahen. »Das ist Wahnsinn«, rief Harry durch das Brummen des Motors. »Warum warten wir nicht bis morgen?«
    Bellman drehte sich um und lächelte, statt zu antworten. Um fünf Uhr fanden sie die Spur wieder. Sie hielten an und stiegen ab. »Die geht in die Richtung«, sagte Bellman. Er ging zurück zum Scooter und rief: »Kommen Sie!«
    »Moment«, sagte Harry. »Warum? Kommen Sie, es wird bald dunkel.«
    »Als Sie gerade gerufen haben, haben Sie da nicht das Echo gehört?«
    »Doch, jetzt, da Sie es sagen.« Bellman blieb stehen. »Eine Felswand?«
    »Auf der Karte sind hier keine Felswände eingezeichnet«, sagte Harry und drehte sich in die Richtung, in die die Spuren führten.
    »Ein Abgrund«,

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