Leopard
brüllte er. Und bekam Antwort. Rasend schnell. Er drehte sich wieder zu Bellman um.
»Ich glaube, der Scooter, der zu diesen Spuren gehört, ist in verdammten Schwierigkeiten.«
»Was ich über Bellman weiß«, wiederholte Gjendem, um Zeit zu gewinnen. »Er gilt als sehr ehrgeizig und extrem professionell.« Worauf wollte der legendäre Nordbo nur hinaus? »Er kann alles, macht alles richtig«, fuhr Gjendem fort. »Lernt schnell und weiß inzwischen auch, wie er mit der Presse umzugehen hat. So ein
whizkid…
ahm, wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Der Ausdruck ist mir durchaus vertraut, ja«, sagte Bent Nordbo mit säuerlicher Miene, während er mit dem rechten Daumen und Zeigefinger unablässig sein Brillenglas bearbeitete. »Ich bin im Grunde mehr an gewissen Gerüchten interessiert.«
»Gerüchte?«, sagte Gjendem, er merkte nicht, dass er in seine alte schlechte Angewohnheit zurückfiel und den Mund nach dem Reden offen stehen ließ.
»Ich hoffe inständig, Sie können mit diesem Begriff etwas anfangen, Gjendem. Das ist schließlich Ihre Lebensgrundlage und die Ihres Arbeitgebers. Also?«
Gjendem zögerte: »Mit den Gerüchten ist das so eine Sache.«
Nordbo verdrehte die Augen: »Spekulationen. Hirngespinste, klare Lügen. So genau kommt es mir nicht darauf an. Sagen Sie schon, was wird getratscht, was kann man ihm voller Schadenfreude anhängen?«
»N… negative Dinge, meinen Sie?«
Nordbo seufzte tief. »Lieber Gjendem. Kommen Ihnen oft Gerüchte über die Bescheidenheit der Menschen, ihre Großzügigkeit in Geldangelegenheiten, Treue in der Ehe oder eine perfekte und nichtpsychopathische Personalführung zu Ohren? Geht es bei einem Gerücht nicht vielmehr darum, uns und anderen eine Freude zu bereiten, da es uns relativ gesehen in ein besseres Licht rückt?« Nordbo war mit dem ersten Brillenglas fertig und begann mit dem zweiten.
»Es handelt sich wirklich um ein sehr, sehr vages Gerücht«, sagte Gjendem und fügte schnell hinzu: »Und von anderen, denen man das Gleiche nachsagt, weiß ich sicher, dass es definitiv nicht stimmt.«
»Als früherer Redakteur möchte ich Ihnen raten, entweder das Wort sicher oder das Wort definitiv zu streichen. Butter bei die Fische«, sagte Nordbo. »Was ist definitiv nicht sicher?«
»Öh … Eifersucht.«
»Sind wir das nicht alle?«
»Manische Eifersucht mit einem Hang zur Gewalt.«
»Er hat seine Frau geschlagen?«
»Nein, ich glaube nicht, dass er Hand an sie gelegt hat. Oder Grund dazu hatte. Aber die, die sie zu lange angesehen haben, hingegen …«
KAPITEL 61
Fallhöhe
H arry und Bellman lagen auf dem Bauch am Rand des Abgrundes, in dem die Scooterspur verschwand. Sie starrten nach unten. Schwarze, steil abfallende Felswände schnitten in die Tiefe und verschwanden weit unten im Schneetreiben, das immer dichter wurde.
»Sehen Sie was?«, fragte Bellman.
»Schnee«, sagte Harry und reichte ihm das Fernglas.
»Der Scooter ist da unten.« Bellman stand auf und ging zurück zu ihrem eigenen Schneescooter. »Wir klettern runter.«
»Wir?«
»Sie.«
»Ich? Ich dachte, Sie wären von uns beiden der Kletterer, Bellman.«
»Korrekt«, sagte Bellman, der bereits dabei war, sich den Klettergurt anzulegen. »Und darum ist es nur logisch, dass ich Sie sichere. Das Seil ist siebzig Meter lang. Ich lass Sie runter, so weit es geht. Okay?«
Sechs Minuten später stand Harry mit dem Rücken zum Abgrund an der Felskante, das Fernglas um den Hals und eine Zigarette im Mundwinkel.
»Nervös?« Bellman grinste.
»Nix«, sagte Harry. »Ich hab eine Scheißangst.«
Bellman kontrollierte, dass das Seil sauber über die Seilklemme lief und um den dünnen Baumstamm hinter ihnen und zu Harrys Klettergurt.
Harry schloss die Augen, atmete tief ein und konzentrierte sich ganz auf das Zurücklehnen, um den evolutionsbedingten Widerstand zu überwinden, der auf der Erfahrung von Millionen von Jahren basierte, dass der Fortbestand der Art gefährdet ist, wenn man sich in einen Abgrund stürzt.
Das Gehirn siegte mit minimalem Vorsprung über den Körper.
Auf den ersten Metern konnte er sich noch mit den Füßen an der Felswand abstützen, doch als der Überhang stärker wurde, hing er plötzlich frei in der Luft. Das Seil gab ruckweise nach, aber die Elastizität dämpfte die Spannung der Klettergurte im Kreuz und in der Leiste. Nach und nach wurde die Abwärtsbewegung gleichmäßiger, und kurz darauf konnte Harry die Felskante über sich nicht mehr erkennen. Er
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