Leopard
Einbrüchen unternehmen, und hat ihn deshalb nicht einmal angezeigt. Damit hatte der Kavalier ein unwiderlegbares Indiz gegen Leike geschaffen.«
»So ein aalglatter Typ«, platzte der Pelikan heraus.
»Ich kaufe die Erklärung für das
Wie«,
sagte Beate Lonn. »Aber was ist mit dem
Warum?
Warum jeden Verdacht auf Tony Leike lenken?«
»Weil ihm klar war, dass wir früher oder später die Mordopfer mit der Hävasshütte in Verbindung bringen«, sagte Harry. »Womit sich die Zahl der Verdächtigen verringern und die in dieser Nacht Anwesenden ins Rampenlicht geraten würden. Es gibt zwei Gründe, warum er die Seite aus dem Gästebuch herausgerissen hat. Nummer eins, weil so er und nicht wir die Namen der Schlafgäste hatte und er sie in aller Ruhe ausfindig machen und töten konnte, ohne dass wir ihn daran hinderten. Nummer zwei und noch wichtiger, weil so sein eigener Name im Dunkeln blieb.«
»Logisch«, sagte Erdal. »Und um sicherzugehen, dass wir ihm nicht auf die Spur kommen, musste er uns einen Schuldigen liefern. Tony Leike.«
»Und darum musste er Leikes Ermordung bis zum Schluss aufschieben«, sagte einer der Ermittler, ein Mann mit einem kräftigen Nansen-Bart, von dem Harry nur noch den Nachnamen wusste. Sein Nachbar, ein junger Mann mit glatter Haut und leuchtenden Augen, dessen Vor- und Nachname ihm entfallen waren, hakte nach.
»Pech nur für ihn, dass Tony Leike ein Alibi für die Tatzeiten hat. Nachdem Tony als Sündenbock ausgedient hatte, war die Zeit gekommen, den Feind Numero uno zu töten.«
Die Temperatur im Raum stieg, und die blasse, zögerliche Wintersonne erhellte den Raum. Sie waren auf dem Weg, endlich hatte sich der Knoten gelöst. Harry registrierte, dass selbst Bellman sich auf dem Stuhl nach vorne gebeugt hatte.
»Alles schön und gut«, meldete sich Beate Lonn zurück, und während Harry auf das Aber wartete, kannte er bereits ihre Frage, wusste, dass sie die Rolle des Advocatus Diaboli übernahm, weil sie wusste, dass er die Antwort hatte. »Aber warum hat der Kavalier alles so unnötig kompliziert gemacht?«
»Weil Menschen kompliziert
sind«,
sagte Harry und empfand das Gesagte wie das Echo eines Satzes, den er irgendwann schon einmal gehört und wieder vergessen hatte. »Wir wollen komplexe, ineinander verzahnte Sachverhalte schaffen, in denen wir die Geschicke lenken und uns als Herrscher in unserem eigenen Universum fühlen. Wissen Sie, woran mich der ausgebrannte Raum in der Kadokfabrik am meisten erinnert hat? An einen Kontrollraum. Ein Hauptquartier. Und ich bin mir gar nicht mal sicher, ob er Leike wirklich ermorden wollte. Vielleicht wollte er ihn viel lieber eingesperrt und verurteilt sehen.« Es war so still im Sitzungszimmer, dass das Zwitschern eines Vogels vor dem Fenster zu hören war.
»Aber warum?«, fragte der Pelikan. »Wenn er ihn ermorden konnte? Oder foltern?«
»Weil Schmerz und Tod nicht das Schlimmste für einen Menschen sind«, sagte Harry und hörte wieder das Echo. »Das Schlimmste ist die Demütigung. Und die hat er Leike gewünscht. Die Demütigung, alles zu verlieren, was er hat. Der Fall, die Scham.«
Er nahm ein kaum sichtbares Lächeln auf Beate Lonns Lippen wahr, sah sie zustimmend nicken.
»Aber«, fuhr er fort, »wie bereits erwähnt wurde, hatte Tony Leike – zum Nachsehen unseres Mörders – ein Alibi. Und somit kam Tony mit der Ersatzstrafe davon, einem langsamen und garantiert grausamen Tod.«
In der Stille, die folgte, flimmerte der Fetzen einer Erinnerung an Harrys innerem Auge vorbei. Der Geruch von verbranntem Fleisch. Im nächsten Moment schienen alle Anwesenden gleichzeitig Luft zu holen.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte der Pelikan.
Harry hob den Blick. Der zwitschernde Vogel auf dem Ast vor dem Fenster war ein Buchfink. Ein zu früh zurückgekehrter Zugvogel. Der den Menschen Hoffnung machte auf einen baldigen Frühling, selber aber in der nächsten Frostnacht erfrieren würde.
Verdammt, dachte Harry. Verdammt.
KAPITEL 68
Der Kavalier
E s wurde eine lange Morgenbesprechung im Kriminalamt.
Björn Holm berichtete über die kriminaltechnischen Untersuchungen in der Kadokfabrik. Es waren weder Sperma noch andere physische Spuren des Täters gefunden worden. Der Raum, den er genutzt hatte, war tatsächlich komplett ausgebrannt, der PC hatte sich in einen Klumpen Metall verwandelt, dem nichts mehr zu entlocken war.
»Vermutlich ist er über ungesicherte Netzwerke in der Umgebung ins Internet gegangen, davon gibt
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